Ex-Rockstars: "Ich habe keine Ambitionen"
Noddy Holder ist 61 und war in den siebziger Jahren ein echter Rockstar. Heute singt der Ex-Frontmann der Gruppe Slade nicht mal mehr unter der Dusche.
taz: Mister Holder, könnte irgendetwas passieren, damit Slade noch mal in der Originalbesetzung auftritt?
Noddy Holder: Ich weiß nicht, das ist schwer zu sagen, aber ich glaube nicht. Wenn man so lange nicht zusammengearbeitet hat, ist es sehr schwierig, auch nur eine einzige Show durchzuführen. Man muss lange proben, die Crew zusammensetzen, Licht, Ton und das alles. Wenn du dann eine einzige Charity-Show machst, dann kommt gleich die Plattenfirma und will, dass man eine Tour macht. Und danach soll dann eine Europa-Tournee kommen. Dann kommt Japan, dann Amerika. Das will ich aber nicht mehr. Als ich die Band verließ, habe ich mich entschieden, mein eigenes Leben zu führen. Ich habe den anderen meinen Ausstieg ja schon vier oder fünf Jahre zuvor angekündigt, sie hatten genug Zeit, sich zu überlegen, was sie dann anfangen würden. Ich habe nicht von heute auf morgen gesagt: "Ich bin dann mal weg."
Noddy Holder (61) war bis 1992 bei Slade. Die Band existiert seit 1966 und hat sich offiziell nie aufgelöst. Vor kurzem wurden alle LPs mit neuem Bonusmaterial wieder veröffentlicht, und vor einigen Wochen kam zusätzlich eine Doppel-CD namens "B-Sides" heraus, die 40 B-Seiten von Slade-Singels versammelt.
Zwei Ihrer Kollegen von damals, Don Powell und Dave Hill, sind noch jetzt mit der Band Slade, die sich zunächst Slade 2 nannte, unterwegs. Haben Sie je so ein Konzert gesehen?
Nein, ich sah sie nie. Es wäre sehr seltsam für mich, zu einer Band zu gehen, die unsere alten Hits spielt. Dave und Don wollten weiter auf Tour gehen, und das ist okay. Jimmy wollte zwar nicht nicht, dass sie den Namen Slade weiter benutzen, aber ich sagte zu ihm: Wir waren jetzt so lange zusammen, es wäre Unsinn, deswegen vor Gericht zu ziehen. Wenn Don und Dave als Slade weitermachen wollen, dann sollen sie das tun.
Zu welchen früheren Glamrock-Stars haben Sie heute noch Kontakt?
Manchmal sehe ich Roy Wood oder Suzi Quatro, aber ich bewege mich nicht mehr in Musikerkreisen, eher in TV-Kreisen.
Was fühlen Sie, wenn Sie jedes Jahr "Merry X-Mas" aus allen Sendern und in allen Supermärkten hören?
Ich bin stolz! Ich denke, es war eine großartige Platte. Als es 1973 rauskam, ging es halb Europa sehr schlecht. Viele Arbeitslose, viele Streiks, vor allem hier in Großbritannien. Der Strom wurde teilweise abgeschaltet. "Merry X-Mas" kam gerade rechtzeitig heraus, um den Menschen Hoffnung zu machen. Die Leute erinnern sich an die Textzeile "Look to the future now, its only just begun" und geben sie von Generation zu Generation weiter. Es wurde ein "Massenhit" - und für mich wurde es zu einer fabelhaften Rente.
Was sind Ihre liebsten Slade-Songs?
Ich mochte "Far Far Away" immer sehr. Was ich auch sehr mag, ist "Seven Year Bitch", eine große Platte, ich denke, sie hätte ein Hit werden müssen, aber sie wurde in England nie im Radio gespielt, weil "Bitch" im Titel vorkommt. Wenn wir es "Seven Year Rich" genannt hätten, wäre es wahrscheinlich eine Nummer 1 geworden
Dachten Sie jemals daran, eine Solokarriere als Sänger zu starten?
Ja, sehr oft. Aber immer, wenn ich mich an die Arbeit für ein Solo-Album machen wollte, kam irgendetwas dazwischen. Aber eines Tages werde ich bestimmt eines veröffentlichen. Allerdings wird das dann sicherlich eine Musik sein, die nichts mit Slade zu tun hat. Ich werde dann eher zurück zu meinen Wurzeln gehen. Eher in Richtung Jazz oder Rhythm n Blues.
Sie spielten einen Musiklehrer in der Comedyserie "The Grimleys". Als was sehen Sie sich heute eher: als Musiker oder als Schauspieler?
Oh, als Musiker! Ich bin kein Schauspieler. In der Serie spielte ich nur mit, weil sie eines der lustigsten Drehbücher hatte, die ich je gelesen habe. Aber ich werde tatsächlich oft gebeten, kleinere Rollen in Serien oder Filmen zu übernehmen. Leider soll ich dann oft einen alternden Rockstar darstellen oder es spielt in den Siebzigerjahren. Aber dazu habe ich keine Lust, das hatte ich schon in echt.
Und wie verbringen Sie Ihre Tage jetzt?
Oh, auf ganz verschiedene Art und Weise. Ich habe meine eigene Radio-Show, ich mache viel Werbung, und es ist jeden Tag etwas anderes. Aber ich liebe das! Es ist viel interessanter als die 25 Jahre mit Slade. Ich wollte einfach mal was anderes versuchen.
Suchen Sie manchmal nach Ihrem Namen im Internet?
Nein! Ich weiß zwar, was ein Computer ist, und kann auch leidlich damit umgehen, aber ansonsten habe ich mit Internet nicht viel am Hut.
Apropos Hut: Was ist aus Ihrem Zylinder mit den Spiegeln geworden?
Den bewahre ich sicher in einem Tresor auf einer Bank auf. Der ist nämlich sehr kostbar, viele wollen den gern haben, aber den geb ich nicht her, den kriegt keiner.
Was fällt Ihnen ein, wenn Sie an Deutschland denken?
Deutschland war das erste Land, das ich außerhalb von England besuchte. Als ich klein war, konnte man nicht ins Ausland reisen. Man reiste mal mit dem Bus an die Küste oder so. Aber ich war nie zuvor außerhalb von England. 1964 kamen wir nach Frankfurt, wir spielten von 21 Uhr bis 4 Uhr morgens, samstags begannen wir sogar schon am Nachmittag. Um Mitternacht mussten die unter 18-Jährigen eigentlich gehen - sie gingen natürlich nicht. Aber ab Mitternacht kamen dann die amerikanischen GIs noch dazu. Wir spielten manchmal 14 Stunden am Stück, nur unterbrochen durch kurze Pausen. Es war meine erste Erfahrung mit deutschen Frauen, deutschem Alkohol. Es war Sex, Drugs und Rock n Roll! Ich war 16 oder 17 und konnte Mädchen haben, so viel ich nur wollte! Es war einfach nur fantastisch! Alles lernte ich in Deutschland. Nachts spielten wir, tagsüber schliefen wir. Keine Eltern, nichts! Wir waren richtig frei!
Waren Ihre Eltern stolz auf Sie?
Meine Eltern sind inzwischen beide tot, aber meine Mutter fragte mich noch, als ich schon 50 war, ob ich denn nicht irgendwann doch noch einen ordentlichen Beruf ausüben wolle. Aus ihrer Sicht machte ich halt mein ganzes Leben genau das, was ich auch schon als 16-Jähriger gemacht hatte. Das war ihr unheimlich. Sie wusste zwar, dass ich mit Slade damals einen gewissen Erfolg erzielt hatte, aber sie hatte nie begriffen, wie berühmt wir eigentlich gewesen waren. Bis zu dem Tag, an dem ich bei der sehr bekannten TV-Show "This is your life" der Stargast war. Das ist eine beliebte Überraschungsparty im Fernsehen, wo der Veranstalter Freunde und Wegbegleiter eines Prominenten einlädt, und die erzählen dann Anekdoten, zeigen Filmausschnitte und so weiter. Als ich dort also gefeiert wurde, da glaubte meine Mutter, dass ich wirklich berühmt sei, denn dort wurden nur berühmte Leute eingeladen. Aber eigentlich war sie mehr davon beeindruckt, dem ebenfalls berühmten Moderator der Show, Michael Aspel, die Hand drücken zu können.
Haben Sie einen speziellen Slade-Raum in Ihrem Haus?
Nein, gar nichts! Das Einzige in meinem Haus, was an Slade erinnert, ist die Titelseite einer Lokalzeitung aus dem Jahr 1973, als "Merry X-Mas" rauskam. Auf der Titelseite war ein Cartoon über uns, mit Politikern und unseren Köpfen, und da stand drunter: "Look to the future now, its only just begun". Das hab ich mir aufgehängt. Aber ansonsten war ich nie ein Sammler, das meiste gab ich Freunden
Kennen Sie Bravo? Und den Slade-Starschnitt?
Oh ja. Und ich erinnere mich an den Fotografen, der uns damals fotografierte. Bubi oder so hieß er. Er war so lustig. Er kam, um uns zu fotografieren, und brachte lauter halb bekleidete Mädchen mit zu uns nach Hause, zu Mama und Papa, nur um sie zu schockieren!
Wenn Sie ihr Leben noch einmal von vorn anfangen könnten, würden Sie irgendetwas anders machen?
Nein! Ich bin glücklich! Ich hatte eine gute Zeit, und ich wüsste nicht, was ich ändern sollte.
Keine unerfüllten Träume?
Ich habe keine Ambitionen mehr. Ich war sehr ehrgeizig, als ich jung war, aber ich lebe jetzt mein Leben. Ich brauche keine Wettbewerbe mehr. Ich lebe das Leben, das mir gefällt, ich mach nur Dinge, die mir Spaß machen. Und ich bin höchstens mal zwei oder drei Wochen von zu Hause weg, nicht mehr wie früher, als wir zehn oder elf Monate unterwegs waren.
Singen Sie unter der Dusche?
Nein, ich singe viel, aber unter der Dusche nicht. Oder vielleicht tue ich es und merke es gar nicht. Ich hatte aber unter der Dusche schon viele Ideen für Lieder.
INTERVIEW: CORINNA STEGEMANN
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Ex-Wirtschaftsweiser Peter Bofinger
„Das deutsche Geschäftsmodell funktioniert nicht mehr“
Bis 1,30 Euro pro Kilowattstunde
Dunkelflaute lässt Strompreis explodieren
Studie Paritätischer Wohlfahrtsverband
Wohnst du noch oder verarmst du schon?
Armut in Deutschland
Wohnen wird zum Luxus
Ansage der Außenministerin an Verbündete
Bravo, Baerbock!
Ex-Mitglied über Strukturen des BSW
„Man hat zu gehorchen“