Ex-RAF-Terroristin Inge Viett: Revolutionärin in der Warteschleife
Beim Protest gegen das öffentliche Gelöbnis der Bundeswehr wurde Inge Viett kurzzeitig festgenommen. Die 64-jährige hat dem Terrorismus den Rücken gekehrt. Ruhe gibt sie noch lange nicht.
"Nie war ich furchtloser". Mit diesen Worten überschrieb Inge Viett, Exmitglied der "Bewegung 2. Juni" und der RAF, vor Jahren ihre Autobiografie. Der Satz gilt heute noch. Vom bewaffneten Kampf hat sich die mittlerweile 64-Jährige zwar losgesagt, an Ruhestand denkt sie aber noch lange nicht. Am Montag kam sie wieder auf freien Fuß, nachdem sie am Sonntag mit sechs weiteren Gegnern der Gelöbnisfeier vor dem Berliner Reichstag wegen Widerstands gegen die Staatsgewalt festgenommen worden war. Zu den Festnahmen kam es nach Polizeiangaben, als die Beamten Sirenengeheul aus einem Lautsprecher der Gelöbnisgegner unterbinden wollten und sich diese dagegen wehrten.
Der Erregungsfaktor von Inge Viett, die in den 70er- und 80er-Jahren eine der meistgesuchten Militanten aus der Stadtguerilla war, ist bis heute hoch. Im vorigen Jahr empörte sich die Bild, weil Viett zusammen mit Ralf Reinders, auch ein ehemaliges Mitglied des "2. Juni", an der Spitze der "revolutionären 1.-Mai-Demo" in Berlin marschierte. Das Blatt titelte: "Terroristen auf Chaoten-Demo" und kommentierte: "Der empörende und ungenierte Auftritt der Terror-Rentner zeigt: Die Schatten der Vergangenheit sind länger, als viele glaubten."
Auf ihre Art hat Inge Viett einiges für die Geschichtsbücher hinterlassen: Im Januar 1944 bei Hamburg geboren, wuchs sie als Pflegekind auf. Nach ihrem Umzug 1969 nach Westberlin schloss sie sich der "Bewegung 2. Juni" an und war 1975 an der Entführung des Berliner CDU-Chefs Peter Lorenz beteiligt. 1972 wurde sie verhaftet, brach aber aus dem Gefängnis aus. 1975 wurde sie erneut festgenommen, im Juli 1976 gelang ihr erneut die Flucht. Nach der Auflösung des "2. Juni" schloss sich Viett der RAF an. 1981 schoss sie in Paris von einem Motorroller aus auf einen Polizisten, der sie hartnäckig verfolgte. Der Beamte wurde schwer verletzt. Nach eigener Darstellung kehrte sie anschließend dem Terrorismus den Rücken und "emigrierte" im Spätsommer 1982 in die DDR. Als Eva-Maria Sommer und Eva Schnell lebte sie dort unter der Legende einer westdeutschen Linken, die wegen eines Berufsverbots in die DDR übersiedelte. Viett soll es auch gewesen sein, die den Kontakt zwischen RAF und Stasi herstellte. Nach dem Fall der Mauer 1990 wurde Viett in Magdeburg verhaftet und 1992 wegen versuchten Mordes zu 13 Jahren Gefängnis verurteilt. Im Januar 1997 wurde sie aus der Haft entlassen.
"Ich kann absehbar keine revolutionäre Perspektiven erkennen", sagte Viett einmal. Das bedeute aber nicht, "dass sich keine revolutionären Potenzen mehr entwickeln". Was wohl heißt: Ihr werdet von mir noch hören.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Anschlag in Magdeburg
Bis Freitag war er einer von uns
Elon Musk und die AfD
Die Welt zerstören und dann ab auf den Mars
Nordkoreas Soldaten in Russland
Kim Jong Un liefert Kanonenfutter
Bankkarten für Geflüchtete
Bezahlkarte – rassistisch oder smart?
Magdeburg nach dem Anschlag
Atempause und stilles Gedenken
Tarifeinigung bei Volkswagen
IG Metall erlebt ihr blaues „Weihnachtswunder“ bei VW