Ex-Puhdy Dieter „Maschine“ Birr auf Tour: „Was sollte ich sonst machen?“

Mit den Puhdys hat Dieter „Maschine“ Birr Musikgeschichte geschrieben. Derzeit ist der 72-Jährige solo auf Tour. Am Sonntag spielt er in Berlin.

Dieter "Maschine" Birr

Eine Rocklegende: Dieter „Maschine“ Birr Foto: dpa

taz: Herr Birr, man kennt Sie vor allem als Frontmann der Puhdys, die letztlich sogar länger existierten als die DDR.

Dieter Birr: Stimmt, 46 Jahre sind’s am Ende geworden seit unseren Anfängen als Nachspielband. Im vergangenen Jahr sind wir freiwillig abgetreten, auf dem Höhepunkt. Wir hätten nicht mehr erreichen können.

Die Puhdys waren die populärste DDR-Rockband überhaupt, aber immer auch mit Häme bedacht.

Natürlich gab es Menschen, die mit uns oder unserer Musik nichts anfangen konnten. Aber das kennt jeder Künstler. Nach der Wende kamen sogar öfters Leute zu uns und sagten: Zu Ostzeiten konnte ich mit euch nichts anfangen, erst jetzt weiß ich euch zu schätzen. Wahrscheinlich, weil wir uns auch nach der Wende behauptet haben. Für viele, die in der DDR groß geworden sind, waren wir einer von ihnen.

Vielleicht, weil Sie eine Erfahrung verband: Die Vorhaltung, in der DDR angepasst gewesen zu sein, um es zu was zu bringen?

„Kurz nach der ­Wende hatte sich generell niemand mehr für irgendeine Art von Ostmusik interessiert“

Wir waren nicht angepasster als alle anderen Bands. Wir haben keine Lieder gemacht, in denen wir gegen die Mauer ansangen oder anprangerten, dass da Menschen erschossen wurden. Damit kamst du nicht durch, und das hat auch keine Band getan, bis auf Renft oder Wolf Biermann, was ich sehr anerkenne. Wir haben unseren Erfolg selbst erarbeitet, und glaub mal nicht, dass die Jugendlichen in der DDR es nicht gemerkt hätten, wenn wir besonders gefördert worden wären. Wir haben unsere Songs selbst geschrieben, unsere Anlage selbst bezahlt und alles aus eigener Kraft geschafft. In der DDR wurde niemand in unsere Konzerte getrieben oder in die Läden, um unsere Platten zu kaufen.

Zu einem Puhdys-Konzert sind die Leute allerdings nicht freiwillig gekommen: 1984 im Palast der Republik. Beim „Rock für den Frieden“-Festival standen eigentlich BAP auf dem Plan, aber Sie dann auf der Bühne. Die Puhdys waren spontan eingesprungen, nachdem BAP plötzlich die DDR verlassen hatten, weil sie bei dem Konzert einen bestimmten Song, „Deshalv spill mer he“, nicht spielen durften.

Das war wirklich eine schwierige Entscheidung für uns, als wir gefragt wurden, an ihrer Stelle aufzutreten. Irgendwie sahen wir das aber auch als Her­ausforderung, das Publikum zu kriegen. Für die Leute in der DDR war der Auftritt einer Westband ein ganz besonderes Erlebnis. Das Publikum war natürlich enttäuscht, als BAP nicht auf der Bühne standen. Es wusste ja gar nicht, dass BAP bereits abgereist waren. Es gab vereinzelte Pfiffe, aber spätestens ab dem dritten Titel ging das Publikum mit uns mit. Ehrlich gesagt, konnte ich die Band damals nicht ganz verstehen, weil ihr doch gar nichts passieren konnte. Wenn sie den besagten Song trotzdem gespielt hätten, wären sie ja kaum von der Bühne weg verhaftet worden. Als ich mich viele Jahre später darüber mit BAP-Sänger Wolfgang Niedecken unterhielt, räumte er auch ein, dass sie damals blauäugig waren. Wir beide verstehen uns übrigens gut und haben vor einiger Zeit gemeinsam den Song „Was wussten wir denn schon“ geschrieben, in dem wir unsere jeweiligen Lebenserfahrungen einbrachten.

Sie haben die meisten Puhdys-Songs geschrieben, die ins kollektive ostdeutsche Musikgedächtnis einsickerten. Einige Punkbands haben sie 1994 sogar mit einem Tribute-Sampler gewürdigt. Hatte Sie das überrascht?

Da war ich schon ein bisschen stolz drauf, denn so was macht man ja nicht einfach so.

Nachdem die Puhdys 2016 samt Lebenswerk-„Echo“ in die Geschichte eingingen, sind Sie gleich wieder mit einem Soloalbum um die Ecke gekommen. Mal kurz innehalten ist nicht Ihr Ding?

Für mich war völlig klar, dass ich weitermache. Mein Hauptinteresse gilt nun mal allem, was mit Musik zu tun hat: komponieren, texten, im Studio arbeiten, Konzerte geben – das ist abwechslungsreich und macht mir Spaß.

Der Spaß dauert nun schon 52 Jahre, denn vor den Puhdys begannen Sie in Bands wie Luniks, Telestars und Jupiters – lauter tolle Namen, die nach Aufbruch ins unendliche Pop­universum klingen.

Es war damals die Zeit der Sputniks und der beginnenden Raumfahrt. Gagarin, der erste Mensch im All, der Aufbruch zum Mond, das faszinierte doch jeden Jungen.

Unten auf der Erde lebten Sie in einer Stadt mit weniger unendlichen Weiten. Wie haben Sie das geteilte Berlin erlebt?

Bis zum Mauerbau als eine aufregende Zeit. Wir haben in Späthsfelde beim Baumschulenweg gewohnt, direkt an der Grenze. Bis zur Sonnenallee waren es fünf Minuten mit dem Fahrrad. Drüben haben wir Westzigaretten für unsere ersten Rauchversuche gekauft, und wir sind dreimal am Tag in eines der vielen Grenzkinos gegangen, 25 Pfennig kostete der Film.

Erinnern Sie sich an Ihr erstes Musikerlebnis?

Na klar. Es war beim Radiohören, „Schlager der Woche“ auf Rias, Ostradio hat ja kein Jugendlicher gehört. Als ich da das erste Mal Bill Haley hörte, bin ich völlig ausgerastet. Wat is denn dit? Das hat mich total umgehauen. Ein Kumpel brachte dann auch die ersten Singles von Chuck Berry, Little Richard an. Die Musik hat mich fasziniert, und ich spürte: So was will ich auch machen. Ich habe dann angefangen, Gitarre zu spielen, und die deutschen Schlager, die im Radio liefen, aus dem Gedächtnis heraus nachgespielt. Peter Kraus und so. Als ich später ein Tonbandgerät besaß, haben wir die englischen Songs vom Band abgehört und sie uns phonetisch eingeprägt.

Dass Sie mal als Musiker auf einer Bühne stehen würden, schien nicht unbedingt absehbar. Als Kind sollen Sie ein Außenseiter gewesen sein, überbehütet von der Mutter?

Ich war der lange Dünne, der öfter mal verprügelt wurde. Bis ich mich in der Schule mal wehrte. Meine Eltern hatten mir zwar gesagt, Junge, du musst dich wehren, aber ich hatte lange Angst und dachte, dann hauen die noch doller zu. Es war mir gar nicht bewusst, dass ich auch ein bisschen Kraft hatte. Meine Mutter hatte immer übertriebene Angst um mich, was für mich vor den anderen Jungs natürlich doof war. Bei jeder kleinen Schramme dachte sie, ich sterbe. Das ging so weit, dass ich mir nach Stürzen beim Fahrradfahren Sand auf die aufgeschlagenen Knie schmierte, um die Wunden zu verdecken. Vermutlich hatte ihre Angst mit dem Trauma zu tun, dass sie mich schon mal fast verloren hatte.

Fans von Birr

Die Fans lieben ihn Foto: dpa

Bei der Flucht aus Ostpreußen 1945?

Ja. Die Geschichte hatte sie mir erst nach vielen Jahren erzählt. Als Kind hatte ich sie immer nur am Rande mitgekriegt, wenn sich die Erwachsenen unterhielten. Meine Mutter war mit mir als Baby im Februar 1945 mit einem Flüchtlingstreck aus ihrer ostpreußischen Heimat vor der Roten Armee geflohen. In Köslin ist der Treck von den russischen Soldaten abgefangen worden, manche Soldaten waren nett und haben den Frauen etwas zu essen gegeben, andere haben sich einzelne Frauen rausgegriffen und vergewaltigt. Auch meine Mutter. Bevor sie aus der Menge gezerrt worden war, hatte sie mich einer anderen Frau in den Arm gedrückt und geglaubt, mich nie wieder zu sehen. Nachdem sie freigelassen wurde, fand sie mich jedoch wieder. Ich glaube, deshalb wird sie immer so eine unheimliche Angst um mich gehabt haben.

Und dann wird der Junge auch noch Beatmusiker?

Na, zunächst habe ich ja eine ganz normale Lehre gemacht. Universalschleifer in der Werkzeugfabrik Treptow, das gleich im ersten Jahr nach dem Mauerbau. Womit unsere schöne Zeit als Jugendliche in Westberlin natürlich auch vorbei war.

Haben Sie mal ans Rübermachen gedacht?

Ich hatte tatsächlich zusammen mit Kumpels Fluchtpläne entworfen, nachdem wir bei einem Ferienjob in einer Spinnerei im Erzgebirge Mädels aus Finnland kennengelernt und uns verliebt hatten. Zurück in Berlin überlegten wir, wie wir am besten abhauen konnten. Das waren aber eher jugendliche Fantasien als reale Absichten: Unser Plan war, in Kohlewaggons rüberzumachen, versteckt unter der Kohle. Das ließen wir dann aber, weil unsere Verliebtheit irgendwann nachließ. Mit meiner finnischen Freundin habe ich mich aber noch eine Weile geschrieben. Die Briefe besitze ich heute noch.

Wann wussten Sie, dass Schleifer zwar ein ehrenwerter Beruf ist, aber für Sie nicht der richtige?

An dem Tag, als mich mein Arbeitskollege und Freund Fritz Puppel, mit dem ich Musik machte, im Werk besuchte und einen denkwürdigen Auftritt hatte. Ich stehe in meiner Kluft an meiner Maschine, da kommt Fritz, der später übrigens die Gruppe City mitgründete, mit seiner Freundin, super gekleidet, am helllichten Tage angeschlendert. Mit Zigarettchen im Mund sagte er: „Ich hab gerade gekündigt, ich mache nur noch Musik.“ Darauf ich: „Echt? Mach ick auch.“ Meine Eltern haben fast einen Anfall bekommen, ich hatte ja gerade erst ausgelernt, aber das war mir egal. Wir haben dann das Leben ziemlich genossen: bis mittags geschlafen, danach Musik von den Shadows einstudiert, abends durch die Kneipen gezogen. Es war eine unbeschwerte Zeit. Geld brauchten wir nicht, weil wir noch zu Hause wohnten, und das Bier war billig. 1966 habe ich an der Musikschule Friedrichshain ein Musikstudium begonnen, und als ich dort wegen Schwänzerei rausflog, ist meine Mutter sogar zum Direktor gegangen und hat gebettelt, dass ich wieder angenommen würde.

1969 sind Sie bei den Puhdys eingestiegen und haben die Lieder von englischen Bands nachgespielt.

Klar, das wollte das Publikum hören: Jethro Tull, Deep Purple, Led Zeppelin.

Wann ging es los mit deutschsprachigen Songs und, wenn man so will, mit den Anfängen des sogenannten Ostrock?

1971 hatten wir ein Angebot vom DDR-Fernsehen für einen Auftritt in der Musiksendung „Basar“, nachdem sich das ein paar junge Zuschauer gewünscht hatten. Die Fernsehleute wollten uns aber nur nehmen, wenn wir deutsch singen. Also schrieben wir unsere ersten beiden deutschen Titel: „Türen öffnen sich zur Stadt“ und „Als wir gestern schieden“. Letzteren haben wir löschen lassen, weil der echt scheiße war. Den hatten wir „Living in the past“ von Jethro Tull ziemlich direkt nachempfunden. Ich bin ja bis heute ein großer Fan der Band, habe alle Platten von ihr und sie auch schon zu DDR-Zeiten live gesehen. Auf Antrag.

Wie, Sie konnten sich Ihre Vorbilder im Westen anschauen, quasi zur Weiterbildung?

Ja, wir und auch Musiker von anderen DDR-Berufsbands konnten einen Antrag stellen, um Konzerte von Westbands zu sehen. Wie gestalten die ihre Bühne, wie machen die ihre Lichtshows. Ich habe sogar das letzte Konzert von Led Zeppelin gesehen, 1980 in der Westberliner Eissporthalle.

In Westberlin spielten die Puhdys häufiger als in vielen DDR-Städten?

Wir haben alle Locations durchgespielt, von der Dachluke (heute BKA-Theater), Kant Kino, Eierschale, Quartier Latin, Eissporthalle, Deutschlandhalle, Waldbühne.

Haben Sie dabei einen Unterschied bemerkt zwischen dem Publikum im Osten und im Westen?

Im Westen war es schon älter. In der DDR hatte ich den Eindruck, es gehen nur Jugendliche zu Konzerten. Und drüben wurde gestanden, während die Zuhörer in den DDR-Kulturhäusern gesessen haben. Wir haben uns einen Sport draus gemacht, die so früh wie möglich aus den Sitzen zu heben. Irgendwann haben wir auch durchgesetzt, dass die Stühle rausgenommen werden.

1989 gingen die Puhdys auf große Abschiedstournee, aber Sie haben schon damals gleich solo weiter gemacht. Als die Mauer fiel, bekamen selbst erfolgreiche DDR-Musiker Existenzangst. Sie auch?

Ja, oder sagen wir besser: Bedenken. Ich dachte, es wird nie wieder so werden, wie es war. Zum Glück ist es anders gekommen, aber wenn ich dran denke, wie viele Musiker damals Versicherungsvertreter oder so was wurden, das war schon irre. Nach der Wende hatte sich einfach keine Sau für Ostmusik interessiert. Für die wollte nach der Währungsunion nun wirklich niemand das schöne Westgeld ausgeben. Mit meiner neuen Band Maschine & Männer spielte ich 1990 in ganz kleinen Läden.

Sie wollten aber auf jeden Fall weitermachen?

Meine Devise war immer: erst mal versuchen, resignieren kannst du später noch. Wir haben in Clubs vor zwanzig, dreißig Leuten gespielt, wir haben ganz unten wieder angefangen.

Empfanden Sie das nicht als riesigen Absturz, wo Sie doch schon Jahre zuvor mit den Puhdys die Waldbühne gefüllt hatten?

Kurz nach der Wende hatte sich generell niemand mehr für irgendeine Art von Ostmusik interessiert. Da musste man durch, aber man gewöhnte sich dran. Letzten Ende gewöhnt man sich an alles. Ich konnte auf der Bühne ja nun auch nicht leidend tun. Ich habe mit Spaß Musik gemacht und gute Musiker um mich geschart. Ich weiß allerdings nicht, wie es mir ergangen wäre, wenn es mit dem Neustart der Puhdys nicht geklappt hätte. Mein Plan war immer, dass es klappt. Aber mit Stillstand ist da nichts.

Ihr zweites Motto?

Ich wüsste gar nicht, was ich sonst groß machen sollte.

Denken Sie schon mal daran, irgendwann von der Bühne ganz weg zu sein?

Ich habe keine Angst vorm Tod, wenn Sie das meinen. Ich hoffe nur, dass ich bis dahin gesund bleibe. Einschlafen und nicht mehr aufwachen wäre gut.

Fänden Sie es schön, wenn in Ihrem Nachruf stünde: Mit Maschine, fast 50 Jahre Sänger der Puhdys, wird auch der Ostrock endgültig verschwinden?

Weiß ich nicht, interessiert mich auch nicht so. Na ja, vielleicht ein bisschen. Ich würde schon gern wissen, wie viele Leute zu meiner Beerdigung kommen.

Einmal zahlen
.

Fehler auf taz.de entdeckt?

Wir freuen uns über eine Mail an fehlerhinweis@taz.de!

Inhaltliches Feedback?

Gerne als Leser*innenkommentar unter dem Text auf taz.de oder über das Kontaktformular.

Bitte registrieren Sie sich und halten Sie sich an unsere Netiquette.

Haben Sie Probleme beim Kommentieren oder Registrieren?

Dann mailen Sie uns bitte an kommune@taz.de.