Ex-Premier vor Ausschuss: Blair begründet Irakkrieg mit 9/11
Ex-Premier Tony Blair hat die Beteiligung seines Landes am Irakkrieg vorm Untersuchungsausschuss verteidigt. Die Anschläge vom 11. September hätten seine Meinung verändert.
BERLIN taz | Die Anschläge auf das World Trade Center in New York im September 2001 haben alles verändert, sagte Tony Blair. Der frühere britische Premierminister musste sechs Stunden lang seine Kriegsentscheidung vor dem Irakausschuss in London rechtfertigen. Bis zu den Anschlägen in den USA habe man Saddam Hussein zwar als gefährlich eingeschätzt, glaubte aber, ihm mit Sanktionen beikommen zu können.
"Er war ein Monster, aber wir wollten versuchen, so gut wie möglich damit umzugehen", sagte Blair. Nach den Anschlägen sei die Bedrohung durch religiöse Fanatiker jedoch bedeutend größer geworden, sagte Blair: "Wir konnten nicht zulassen, dass ein solches Regime Massenvernichtungswaffen entwickelt." Saddam hätte al-Qaida damit ausrüsten können.
Blair räumte ein, dass er nie an Verbindungen zwischen Saddams Regime und al-Qaida geglaubt habe. Aber er fügte hinzu, dass Schurkenstaaten durchaus fähig seien, sich mit terroristischen Organisationen zu verbünden. Und er sei aufgrund der Geheimdienstinformationen fest davon überzeugt gewesen, dass der Irak über Massenvernichtungswaffen verfügte, was sich nie bestätigte.
Er bedaure lediglich, die Behauptungen der Boulevardpresse, wonach diese Waffen binnen 45 Minuten einsatzbereit sein könnten, nicht korrigiert zu haben.
Blair erschien vorsichtshalber zwei Stunden zu früh zu seiner Anhörung und wurde durch eine Hintertür ins Queen Elizabeth Centre in Westminster geschmuggelt. Dadurch vermied er eine Konfrontation mit rund 200 Demonstranten, die auf der anderen Seite des Gebäudes mit Blair-Masken und Transparenten auf ihn warteten. Der Vorsitzende der Antikriegskoalition, Andrew Murray, beschuldigte Blair der Feigheit: "Es ist typisch für ihn. So hat er auch die Kriegsentscheidung getroffen - hinter dem Rücken der Öffentlichkeit."
3.000 Interessierte hatten sich um Eintrittskarten für die Anhörung beworben, 80 wurden per Losverfahren ausgewählt. Außerdem kamen 28 Angehörigen von Soldaten, die im Irak ums Leben gekommen sind. Insgesamt starben 179 britische Soldaten beim Irakeinsatz, der offiziell im Juli 2009 endete.
Der Untersuchungsausschuss unter Leitung von John Chilcot hat lediglich die Aufgabe, die Entscheidungen, die zur Invasion führten, zu untersuchen. Rechtliche Konsequenzen muss Blair nicht befürchten. Aber er musste sich unangenehmen Fragen stellen. Chilcot wollte wissen, ob Blair dem damaligen US-Präsidenten George Bush bereits im April 2002 auf Bushs Ranch in Texas seine Unterstützung bei einem militärischen Einsatz im Irak zugesichert habe.
Blair bestritt das. "Wie wir es tun würden, war eine offene Frage", sagte er. Christopher Meyer, der damalige britische Botschafter in Washington, hatte ausgesagt, dass der Plan für eine Invasion bei dem Treffen in Texas "mit Blut besiegelt" worden sei.
Blairs Briefe an Bush aus dieser Zeit dürfen nicht veröffentlicht werden. "Bush ist ein ziemlich einfacher Mann", begründete einer von Blairs Beratern diese Entscheidung. "Wenn man ihm nicht gleich im ersten Absatz versichert, dass man hinter ihm steht, liest er gar nicht erst weiter.
Die Briefe drehen sich um den Kern der britischen Beziehungen zu den USA. Sie sind voller abfälliger Bemerkungen über andere Leute, darunter auch Jacques Chirac. Ich denke nicht, dass sie veröffentlicht werden können."
Bei der Frage nach der rechtlichen Grundlage für den Krieg geriet Blair etwas ins Schwimmen. Generalstaatsanwalt Lord Goldsmith hatte Blair zwei Wochen vor dem Angriff auf den Irak gewarnt, dass dieser illegal sein könnte. Zehn Tage später änderte er seine Meinung. Man habe keinen Druck in dieser Hinsicht auf ihn ausgeübt, sagte Blair. "Wenn Goldsmith gesagt hätte, dass es juristisch nicht zu rechtfertigen sei, wären wir nicht in der Lage gewesen, militärische Maßnahmen zu ergreifen."
Der damalige Rechtsberater der Regierung, Michael Wood, hat dagegen Anfang der Woche vor dem Ausschuss erklärt, der Einsatz sei völkerrechtswidrig gewesen, da er nicht vom UN-Sicherheitsrat genehmigt worden sei. Justizminister Jack Straw, der damals Außenminister war, habe seine Einschätzung jedoch ignoriert.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Rekrutierung im Krieg gegen Russland
Von der Straße weg
Umfrage zu Sicherheitsgefühl
Das Problem mit den Gefühlen
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Der alte neue Präsident der USA
Trump, der Drachentöter
„Freiheit“ von Angela Merkel
Die Macht hatte ihren Preis
Ärzteschaft in Deutschland
Die Götter in Weiß und ihre Lobby