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Ex-HSV-Profi im "Normalisierungskomitee"Barbarez will bosnischen Fußball retten

Bosnische Fußballvereine und die Nationalmannschaft sind seit 1. April von Wettbewerben ausgeschlossen. Der ehemalige Bundesliga-Profi Sergej Barbarez will helfen.

Sergej Barbarez im HSV-Trikot (2005). Bild: ap

HAMBURG taz | Sergej Barbarez hat vorgeschlagen, sich in einem Restaurant im Hamburger Schanzenviertel zu treffen. Der 39-Jährige ist gern hier. Er möchte Co-Trainer in der Bundesliga werden, erzählt er, aber im Moment beschäftigt ihn was anderes: Der Ausschluss Bosnien-Herzegowinas.

Bosniens Fußballvereine und die Nationalmannschaft wurden am 1. April von allen internationalen Wettbewerben ausgeschlossen, weil 28 der 53 bosnischen Delegierten zwei Tage zuvor eine von der Fifa und Uefa geforderte Reform des Verbandes abgelehnt hatten.

Barbarez ist Mitglied eines vom bosnischen Verband einberufenen "Normalisierungskomitees". Dieses Komitee besteht aus neun Mitgliedern, von denen drei im Ausland arbeiten und leben: Neben Barbarez ist dies etwa Dusko Bajevic, zuletzt Trainer bei AEK Athen. In Gesprächen mit Uefa-Präsident Michel Platini und Fifa-Präsident Joseph Blatter hat man die Probleme erörtert. Man sei sich mit Fifa und Uefa so gut wie einig: "Ich bin zuversichtlich, dass wir die von den Verbänden geforderten neuen Statuten morgen auf der Generalversammlung unseres Verbandes durchsetzen können", sagt Barbarez staatstragend.

Sergej Barbarez

Der ehemalige Bundesliga-Profi (39) spielte bis 1991 im Profikader des bosnisch-herzegowinischen Traditionsvereins Velež Mostar, außerdem als Basketballer in der obersten Liga seines Landes.

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Seine Fußballkarriere in Deutschland begann Barbarez eher zufällig 1992 bei Hannover 96. Barbarez hatte Ferien bei seinem Onkel in Deutschland gemacht, als der Krieg in Jugoslawien begann. Barbarez reiste deswegen nicht zurück nach Jugoslawien. Nach einem Probetraining bei Hannover 96 erhielt er schnell einen Vertrag bei dem damaligen Zweitligaverein. Im Sommer 1992 gewann er mit Hannover 96 den DFB-Pokal.

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Weitere Profi-Stationen: 1. FC Union Berlin, Hansa Rostock, Borussia Dortmund, Hamburger SV, Bayer 04 Leverkusen.

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Zwischen 25. Januar 2009 und Ende Mai 2010 saß Barbarez im Aufsichtsrat des Hamburger SV. (Quelle: Wikipedia | CC-BY-SA)

Machtkampf zwischen drei Volksgruppen

In Bosnien-Herzegowina tobt seit dem Zerfall Jugoslawiens 1991 ein Machtkampf zwischen den drei Volksgruppen. Der von Serben, Kroaten und Bosniern bewohnte Staat im Südosten Europas ist wegen des 1995 geschlossenen Dayton-Vertrags in zwei Teilstaaten aufgeteilt, in die von Serben dominierte Republika Srpska und die bosnisch-kroatische Föderation von Bosnien und Herzegowina.

Beide Teilstaaten sind weitestgehend autonom, haben ein eigenes Parlament und eine eigene Regierung sowie eine eigene Legislative und Exekutive. Seit den Wahlen im Oktober 2010 gibt es auf gesamtstaatlicher Ebene keine gemeinsame Regierung mehr. Dadurch ist Bosnien gelähmt. Hass und Misstrauen zwischen den ethnischen Gruppen sind 16 Jahre nach dem Bürgerkrieg immer noch groß: "Die Wunden des Krieges sind noch nicht verheilt", sagt Barbarez. Was für den Staat gilt, gilt auch für den Fußball.

Ein Bosnier, ein Serbe und ein Kroate wechseln sich ab

Um allen drei Volksgruppen gerecht zu werden, funktioniert der bosnische Fußballverband (NFSBiH) nach dem Vorbild des Staates: Ein Bosnier, ein Serbe und ein Kroate wechseln sich nach einem Rotationsprinzip als Verbandsvorsitzende ab. Die Statuten der Fifa besagen allerdings, dass ein Verband nur einen Präsidenten haben darf. Auf einen Präsidenten wollen sich die Bosnier, Serben und Kroaten aber nicht einigen. Blatter und Platini sehen die Unabhängigkeit des Verbandes in Gefahr. In diesem Tauziehen um Macht und Geld will keiner der Repräsentanten der drei Ethnien im Fußballverband nachgeben. "Wenn du dich nicht mit Politik beschäftigst, beschäftigt sich die Politik mit dir. Wir mussten gerade auf diesem Feld sehr viel Feingefühl beweisen. Die Fifa und die Uefa hatten bislang sehr viel Geduld mit uns", sagt Barbarez.

Der NFSBiH steht mit einem Defizit von über 2,5 Millionen Euro vor dem Bankrott. Die Verantwortlichen haben mit zwei Agenturen gleichzeitig Verträge unterschrieben, die sich um die Vermarktung der TV-Rechte kümmern sollten. Das Gleiche geschah auch mit Hauptsponsoren oder Ausrüstern. "Jeder handelt aus Eigeninteresse", sagt Barbarez, "aus dieser Vielzahl von Gründen war die Suspendierung die einzig richtige und notwendige Entscheidung."

Normalisierungskomitee führt Gespräche mit allen Gruppen

Das Normalisierungskomitee hat Gespräche mit Fußballfunktionären der drei Volksgruppen geführt. Man konnte sich bislang noch nicht auf einen gemeinsamen Präsidenten einigen. "Wir haben aber auf diesem Gebiet Fortschritte gemacht. Die Chancen stehen gut, dass der Präsident des Normalisierungskomitees, Ivica Osim, in Zukunft auch Präsident des Verbandes wird", sagt Barbarez. Osim, ein ehemaliger jugoslawischer Nationalspieler und Trainer, wird wegen seiner Erfolge im Ausland von den Delegierten des bosnischen Verbandes geschätzt. In Gesprächen mit Fußballfans hörte Barbarez häufig den Satz: "Endlich können wir mit jemandem sprechen, der sich wirklich um unsere Probleme kümmert." Barbarez spürt "bei vielen die Angst, bei wichtigen Entscheidungen übergangen zu werden".

Gerade weil der Verband so zerrissen ist wie das ganze Land, sieht Barbarez im Fußball die Chance, die verfeindeten Volksgruppen einander näher zu bringen. Die Nationalmannschaft Bosniens-Herzegowinas hat sich im In- und Ausland Ansehen erspielt. Die Hoffnung auf eine Teilnahme an einem großen Turnier ist da: "Das würde im Land vieles ändern, aber erst mal müssen wir diese organisatorischen und administrativen Dinge klären. Dann ist unser Land auf einem guten Weg." Barbarez weiß allerdings auch: Es kann auch umgekehrt laufen. Die morgige Generalversammlung ist für den ehemaligen Profi des Hamburger SV so etwas wie ein Endspiel.

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4 Kommentare

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  • R
    Reuf

    Falsch Mirko, das eine ist die Nationalität das andere der Glaube. Somit sind es Muslime, katholische Christen und orthodoxe Christen oder es sind Bosniaken, Kroaten und Serben.

    Dies ist aber ein Paradoxum, da die letztgenannten Staatsbürger Kroatiens und Serbiens sein müssten und somit "Ausländer". Dem ist aber nicht so.

    Dies sind Relikte aus Titos Regime, als es außer Serben, Kroaten und "anderen" sonst nichts gab, obwohl weder Serben noch Kroaten die Mehrheit in Bosnien und Herzegowina stellten bzw. immer noch nicht stellen (siehe Wikipedia).

    Die Suggestion "Bosnier = Muslime" stammt nicht nur von Sportredakteuren mit Defiziten in "Balkanologie", sondern hauptsächlich durch die nichtmuslimischen Bosnier selbst, da diese in erster Linie Serben oder Kroaten sein wollen.

    Der politisch interessierte Leser des Sportteils wird somit erkennen dass Mirko kein bosnischer Muslime ist und Reuf kein Kroate oder Serbe.

    Genug des Geplänkels, der künftige Verbandspräsident sollte sportlich ermittelt werden. Wie wäre es mit Torwandschießen? Egal wer es wird, Bosnien muss weiter erfolgreich international spielen, am besten noch diese EM!

  • R
    Reuf

    Falsch Mirko, das eine ist die Nationalität das andere der Glaube. Somit sind es Muslime, katholische Christen und orthodoxe Christen oder es sind Bosniaken, Kroaten und Serben.

    Dies ist aber ein Paradoxum, da die letztgenannten Staatsbürger Kroatiens und Serbiens sein müssten und somit "Ausländer". Dem ist aber nicht so.

    Dies sind Relikte aus Titos Regime, als es außer Serben, Kroaten und "anderen" sonst nichts gab, obwohl weder Serben noch Kroaten die Mehrheit in Bosnien und Herzegowina stellten bzw. immer noch nicht stellen (siehe Wikipedia).

    Die Suggestion "Bosnier = Muslime" stammt nicht nur von Sportredakteuren mit Defiziten in "Balkanologie", sondern hauptsächlich durch die nichtmuslimischen Bosnier selbst, da diese in erster Linie Serben oder Kroaten sein wollen.

    Der politisch interessierte Leser des Sportteils wird somit erkennen dass Mirko kein bosnischer Muslime ist und Reuf kein Kroate oder Serbe.

    Genug des Geplänkels, der künftige Verbandspräsident sollte sportlich ermittelt werden. Wie wäre es mit Torwandschießen? Egal wer es wird, Bosnien muss weiter erfolgreich international spielen, am besten noch diese EM!

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    @Mirko:

     

    Wenn man schon korrekt sein will, dann sollte man "Bosniake" statt Moslem oder Bosnier sagen. Und übrigens, ich weiß nicht, wer dir das eingeredet hat, dass die Serben oder Kroaten die Mehrheit der Bevölkerung bilden. Man kann höchstens sagen, dass Bosnien zur Hälfte muslimisch und zur anderen christlich ist, wobei das auch nicht korrekt ist, da es noch eine Minderheit von Juden gibt.

    Die offizielle ethnische Aufteilung ist:

    ~ 50% Bosniaken (bosn. Muslime)

    ~ 32% Serben (bosn. Orthodoxe)

    ~ 16% Kroaten (bosn. Katholiken)

    ~ 2% Sonstige

  • M
    Mirko

    Es müsste heissen ein Muslim ein Serbe und ein Kroate wechseln sich ab.

     

    Denn Bosnier sind sie alle drei bzw. Herzegowiner (Je nachdem in welcher Region man sich aufhält)

     

    So wird den Leuten suggestiert das die Serben und Kroaten keine Bosnier seien. Die Mehrheit der Bevölkerung in BiH ist serbisch bzw. kroatisch! Die Medien versuchen hier den Muslim als quasi als "den Bosnier" darzustellen. Dem ist aber nicht so...