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Ex-Grüner über Europapolitik"Der EU fehlt Gewaltenteilung"

An diesem Wochenende wählt die Linkspartei ihre Kandidaten für die Europawahl. Der Ex-Grüne Wilfried Telkämper will für die Linken zurück ins Parlament - und dort für mehr Demokratie sorgen

Verließ die Grünen, weil sie ihm zu FDP-artig wurden. Bild: dpa
Stefan Reinecke
Interview von Stefan Reinecke

taz: Herr Telkämper, Sie waren mehr als zehn Jahre für die Grünen im Europaparlament. Jetzt wollen Sie nach langer Pause wieder dorthin - für die Linkspartei. Warum?

Wilfried Telkämper: Ich bin aus der Politik ausgestiegen, weil ich der Meinung bin, dass Politikern hin und wieder Bodenhaftung guttut. So habe ich in den letzten zehn Jahren bei einer internationalen Organisation als Manager in der beruflichen Weiterbildung gearbeitet.

Und warum wollen Sie nun zurück ins EU-Parlament?

Ich habe in den 90er-Jahren die Verfassungsbeschwerde gegen den Vertrag von Maastricht vertreten. Die EU ist seitdem nicht demokratischer geworden. Die EU ist ein Markt, aber keine demokratisch organisierte politische Union. Das zu ändern ist ein wesentliches Ziel.

Demokratisierung der EU klingt gut. Was heißt das konkret?

70 Prozent der deutschen Gesetze werden durch die EU bestimmt. Die EU beeinflusst längst auch kommunale und regionale Politik. Eine positive Identifikation mit Europa wird es nur geben, wenn das ins Bewusstsein rückt. Wir müssen klarmachen, wie eng Kommunal- und Europapolitik verzahnt sind. Das ist echte Kärrnerarbeit.

Warum sind Sie 2002 bei den Grünen ausgetreten?

Das war ein langer Prozess. Die Grünen haben sich nach 1998 immer mehr der neoliberalen Ideologie der FDP angenähert. Hinzu kam der Kosovokrieg. Ich hoffe, dass in der Linkspartei eine neue, plurale linke Politik möglich ist.

Verstehen Sie denn Linke wie den Attac-Gründer Sven Giegold, der zu den Grünen gegangen ist - und nicht zur Linkspartei?

Das hat mich überrascht. Aber die Grünen sind in der Opposition offenbar wieder attraktiver für Globalisierungskritiker.

Die Linkspartei hat - siehe Maastricht, Euro und Verfassungsentwurf - der EU nie zugestimmt. Reicht es, abstrakt für Europa zu sein - aber doch immer Nein zu sagen?

Dafür gibt es doch genug Gründe. Der EU fehlt die demokratische Verfasstheit. Es gibt keine Gewaltenteilung, dafür ein marktliberales Credo - von der Flexibilisierung des Arbeitsmarkts bis zur Privatisierung öffentlicher Güter. Zu diesem Modell eines Marktes ohne Staat können wir nicht Ja sagen. Der Lissabon-Vertrag schreibt zudem die EU als Militärmacht und Standort für Atomenergie fest. Wer Atomkraft ablehnt und zivile Konfliktlösungen will, kann mit diesem Vertrag nicht einverstanden sein.

Im Wahlprogramm der Linkspartei steht vor allem, was in der EU alles falsch läuft. Aber kein Wort darüber, dass der Euro gerade im Moment ein Segen ist. Fehlt da nicht ein positiver Bezug auf Europa?

Wir sind nicht gegen die EU. Wir sind aber für eine andere, friedliche, soziale EU, in der es mehr Partizipation der Bürger gibt.

Gibt es da nicht eine bedenkliche Nähe zwischen linker und rechtskonservativer EU-Skepsis?

Nein, diese Frage ist polemisch. Wenn Rechte aus Deutschtümelei den Wald retten wollen, dann höre ich doch nicht auf, Umweltschutzpolitik zu machen. Wir glauben auch nicht, dass es in der globalisierten Welt ein Zurück zu rein nationalstaatlicher Politik gibt.

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1 Kommentar

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  • T
    Tsuba

    Zu der letzten Frage kann man wahrscheinlich nur müde lächelnd den Kopf schütteln: Die Gefahr, dass es ein Zurück zu "rein nationalstaatlicher Politik" geben kann, ist enorm. Was sich viele Menschen, insbesondere vorschnelle Europakritiker, deutlich machen sollten, ist die Tatsache, dass man mit Maastricht/Amsterdam und Lissabon einen Weg eingeschlagen hat, der Ganz-oder-Gar-Nicht bedeutet. Sollte die EU aus irgendeinem Grunde (bspw. wirksamer Polemik protektionistischer Politiker) scheitern, sowohl wirtschaftlich als politisch, ist die naheliegendste Reaktion der Menschen:"Wir haben es probiert, es ist gescheitert (opt.: wie wir es seit langem wussten)." Es ist also von enormer Wichtigkeit, dass es alle Kräfte darauf verwendet werden, die EU zu stabilisieren und sie auch politisch nicht mehr hinwegdenken zu können. Denn mit einem Scheitern der Einheit Europas wäre der Weg geebnet zu einer Rückkehr zu Protektionismus und Nationalismus. Zuvorderst in Deutschland, denn Deutschland hätte auch nach einem Fall der EU (im Übrigen, dank der EU) eine Vormachtsstellung in Europa. Und die Freude über diesen Gedanken ist in deutschen Köpfen ja ganz besonders verankert. Fragen Sie Helmut Schmidt.

     

    Mit freundlichen Grüßen