Ex-Elternsprecherin über Schulpolitik: "Keiner versteht, was Eltern wollen"
Die Vorsitzende des Landeselternbeirats in BaWü, Christiane Staab, wirft das Handtuch: Aus Protest und Wut über eine Bildungspolitik, die die Bedürfnisse von Kindern und Eltern nicht respektiert.
taz: Frau Staab, Sie sind wegen der Schulpolitik in Baden-Württemberg zurückgetreten. Sind sie sauer?
Christiane Staab: Und wie sauer ich bin! Mit meinem Rücktritt wollte ich die Schulpolitik kritisieren. Unser Kultusminister Helmut Rau tut aber so, als wäre es eine persönliche Animosität von mir. Es geht um Strukturen.
Denken auch andere Elternsprecher so oder ist das Ihre Einzelmeinung?
Christiane Staab, 41, Juristin, stand seit 2005 an der Spitze des Landeselternbeirats in Baden-Württemberg und ist vergangene Woche zurückgetreten. Sie ist Mutter von vier Kindern.
Die meisten Elternbeiräte fühlen sich wie ich: Die Ohnmacht, von der Regierung immer angehört zu werden, aber zuhören oder etwas ändern tut niemand. Niemand dort versteht, was Eltern eigentlich wollen: keine ergonomisch geformten Stühle, sondern einfach, dass unsere Kinder in der Schule nicht gemobbt werden. Dass sie in Ruhe lernen können, als Individuum wahrgenommen werden und gern zur Schule gehen.
Ist es wirklich so schlimm? Baden-Württemberg und Bayern liegen bei der Pisa-Studie doch mit großem Abstand vor anderen Bundesländern.
Das liegt aber doch nicht am Schulsystem oder der Regierung, sondern an den Eltern, die ihren Kindern alles an Unterstützung geben, was sie können. Hier gibt es die meisten Arbeitsplätze und die höchsten Einkommen. Viele Eltern haben Geld für Privatschulen oder Nachhilfeunterricht. Ein Teil verzichtet komplett auf den Beruf - und Mutti ist daheim für die Kinder da. Hätten wir soziale Strukturen wie in Bremen oder Berlin, die Pisa-Studie sähe ganz anders aus.
Was ist denn faul in Baden-Württemberg?
Man hat 20 Jahren lang zugesehen, wie die Hauptschule langsam erodiert und das Gymnasium explodiert. Jetzt schließt man auf dem Land Hauptschulen, nicht wegen eines pädagogischen Konzepts, sondern weil sie schlicht zu teuer werden. Alternative Schulen und Unterrichtsformen sind kaum erprobt worden, es gab keine Überlegungen, wie man die Schullandschaft grundsätzlich umgestalten könnte. Immer nur weiter so. Und jetzt bricht man die Werkrealschule übers Knie.
Dort können künftig alle Schüler nach dem Hauptschulabschluss die Mittlere Reife dranhängen. Bisher mussten sie auf speziellen Werkrealschulen schon nach der siebten Klasse Zusatzunterricht besuchen.
Damit bauen wir wieder eine Hürde auf: Wer nach der Neunten schlechter ist als 3,0, der fliegt. Und erst danach wird mit den Berufsschulen kooperiert, um auf den Job vorzubereiten. Zu den Schülern, die es nötig haben, dringen wir so nicht durch. Die werden nach wie vor aussortiert.
Also weg mit dem dreigliedrigen System, wie es immer mehr Bundesländer praktizieren?
Ich möchte keine vordergründige Diskussion Einheitsschule gegen gegliederte Schule führen. Ich wünsche mir, dass man in Schulen in Deutschland eruiert, was funktioniert und mit den Erkenntnissen ein Modell für Baden-Württemberg entwickelt. Das Thema Qualität des Unterrichts ist dabei entscheidend: Wie können Schulen ein angenehmer Lebensraum werden?
Und wie?
Wir brauchen für jedes Kind einen individuellen Bildungsplan, in dem lediglich der Rahmen vorgegeben ist. Die Frage, ob Hauptschulen und Realschulen zusammengelegt werden sollten, wird ohnehin demografisch beantwortet, weil wir für beide Schularten gar nicht mehr genug Kinder haben. Das Ziel in jeder Schule ist Kompetenzerwerb statt Wissensvermittlung.
Was meinen Sie mit Kompetenzerwerb?
Das ist eine andere Art des Lernens, die sogar schon in Baden-Württembergs Bildungsplan steht. Aber es wird zu selten umgesetzt. Angenommen, ein Kind hat zu Hause Probleme und schreibt eine Fünf im Diktat. Dann braucht es Motivation und Unterstützung, jemanden, der sagt: Ich freu mich, dass du mitgeschrieben hast, beim nächsten Mal wird es noch besser. Ein Anderes war einfach faul und braucht Druck. Momentan sagt die Schule dem Schüler aber nur, dass er schlecht ist.
Das klingt doch nach gemeinsamem Lernen in einer integrativen Schule.
Ein schlechter Unterricht bleibt ein schlechter Unterricht, egal in welchem System. Das soll jetzt keine Pädagogenschelte sein. Aber warum gibt es keinen Standard, um die Qualität eines Lehrers zu beurteilen. Warum werden die Schüler nicht systematisch befragt? Die müssen auf spickmich.de gehen, um sagen zu können, was sie gut oder schlecht finden. Vermutlich wissen 90 Prozent der Lehrer nicht einmal, welche Schüler in der Klasse Nachhilfe bekommen.
Dabei wären wahrscheinlich genug Lehrer da, um Nachhilfe zu geben. Baden-Württemberg hat eine Schüler-Lehrer-Relation von 16:1, Finanzminister Willi Stächele überlegt sogar, dass es auch mit weniger Lehrern geht.
Wo sind denn diese Lehrer alle? Von den Herren kommt keiner auf die Idee, mal das Schulsystem zu durchforsten. Im Gymnasium haben wir teilweise mehr als 30 Schüler in einer Klasse. Da betreuen Lehrer die IT-Einrichtung der Schulen, das können Firmen viel effizienter machen. Sie müssen kopieren, Ausflüge organisieren, Bücher ausgeben und überprüfen. Von der restlichen Bürokratie ganz zu schweigen. Die Lehrer müssen wieder im Klassenzimmer stehen und unterrichten.
Sie plädieren für ein ordentliches Qualitätsmanagement in der Bildung.
Genau. In welchem Kollegium setzen sich denn Lehrer zusammen und tauschen sich aus, wer mit welcher Methodik seinen Unterricht gestaltet? Wo beurteilen Lehrer gegenseitig ihre Leistungen? Das gibt es fast nicht. Jede Firma würde so bankrott gehen. Dazu kommt noch die Bildungspolitik: Wenn sich mal Schulleiter und Lehrer in Baden-Württemberg trauen, auf Missstände hinzuweisen, dann wird ihnen sofort vom Kultusministerium ein Maulkorb verpasst. Das ist doch entsetzlich! Ein gebeugter, demütiger Lehrer kann Kinder nicht zu selbstbewussten, kritischen Demokraten erziehen. So ein System kann nicht funktionieren.
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