: Ewig ruft die Finsternis
Ein großer Auftritt für Forest Whitaker, ein Drehbuch, das einiges zu wünschen übrig lässt: „The Last King of Scotland“ von Kevin MacDonald erzählt die Geschichte des ugandischen Diktators Idi Amin
VON HARALD FRICKE
Die Szene ist in jedem Film über Afrika zu sehen. Ein Auto, ein Bus oder ein Lkw fährt über eine Landstraße, die Kamera filmt seitlich aus dem Fenster, und plötzlich stürmen Kinder herbei. Sie lachen, tanzen und winken dem Auto zu, das dann an Fahrt aufnimmt und die Kinder hinter sich zurücklässt. Offenbar ist diese Begegnung ein Standard, vor allem, wenn die Filme aus westlicher Sicht das erste Zusammentreffen mit dem schwarzen Kontinent zeigen. Als Gegenüber erscheint Afrika neugierig und voll freudiger Erwartung, während der Besucher aus dem Westen für einen Moment von der Zuneigung fasziniert ist. Danach möchte er lieber auf Distanz gehen. Um das Blickregime solcher Anziehung und Abstoßung zu zeigen, genügt trotz drei Jahrzehnten an postkolonialem Kino immer noch dieser eine Kameraschwenk.
Natürlich setzt auch „The Last King of Scotland“ auf die herbeigezoomte Unschuld der Kinder, durch die dem weißen Mann das Herz aufgeht in der fremden Welt. Der schottische Arzt Nicolas Garrigan (James McAvoy) hat gerade seinen Abschluss an der Uni bestanden und möchte nun allerlei Abenteuer im Dienst der Entwicklungshilfe erleben. Wobei ihm das soziale Aufbegehren in dem Land, für das er sich entschieden hat, entgegenkommt: 1971 befindet sich Uganda im Umbruch. Der alte Premierminister Milton Obote ist gestürzt, an seiner Stelle hat sein Armeecheff, Idi Amin (Forest Whitaker), die Macht übernommen. Schon auf seiner ersten Busfahrt profitiert Garrigan von der neuen Freizügigkeit, als er abends mit einer ugandischen Frau im Bett landet. Mit Schreien des Entzückens dringt Garrigan zum Höhepunkt vor: Ja, er ist in Afrika!
Das sexuelle Getriebensein bleibt eine Grunderregtheit im ersten Spielfilm von Kevin Macdonald. Es ist die alte Legende von den Lockungen der Macht, denen der tiefe Fall der eigenen Korrumpierbarkeit folgt. Durch Zufall kann Garrigan dem neuen Präsidenten Amin helfen, als dieser sich seine Hand bei einem Autounfall verletzt. Die beiden kommen ins Gespräch, ohnehin hält Amin viel von den Schotten, weil diese immer schon gegen das von England kontrollierte Großbritannien ins Feld gezogen wären. Prompt macht er den Provinzdoktor zu seinem Leibarzt, später gar zu seinem engsten Berater. Garrigan wird eine Art Geheimrat am Hofe des sich immer mehr zum Unterdrücker seines Volkes auswachsenden Amin.
Vor lauter Glück über den Aufstieg merkt der junge Mann nicht, dass er in die Fänge des Diktators geraten ist. In diesem Punkt bleibt MacDonald angenehm unpäpstlich. Die Geschenke, mit denen Amin seinen Gegenüber für sich gewinnen will, und auch die Orgien, sie sind ja nicht bloß Frevel, sondern der Versuch, eine Sprache zu finden, auf der sich das Männerbündnis festschreiben ließe. Darin erweist sich der ugandische Despot als souveräner Diplomat und nicht als sündenbabeliger Dämon. Gleichwohl mag MacDonald aber dieser jovialen Hemdsärmeligkeit des Herrschers nicht über den Weg trauen. Weil die Geschichte gelehrt hat, was Amin für ein Monster war, muss auch der Film ihn brüchig werden lassen, muss ihn in shakespearscher Manier als zwischen revolutionärem Träumer und dunklem Schlächter hin- und hergerissenen Schizo zeigen.
Diese Bloßstellung wird vor allem durch Forest Whitaker zu einem mitreißenden Psychoritt. Er hat sich Amin einverleibt: vom Stiernacken bis zum schluffigen Gang der für das Gewicht seines Staatsamtes viel zu dünnen Beine. Mehr noch, Whitaker kann in einem Augenblick wunderbar den Enthusiasmus des aufstrebenden Afrikas der Siebzigerjahre verkörpern, nur um kurz darauf ganz zum müden Tyrannen zu werden, den selbst nur die Angst regiert, dass Obotes Schergen ihn beseitigen wollen. So steht Paranoia am Anfang von Folter, Mord und Massenhinrichtungen, die in der Erinnerung unverrückbar mit Uganda und Amin verbunden sind. Diese Last des Opfer- und Täterdiskurses transportiert Whitaker bewusst mit in jeder seiner Regungen – was ihm zu Recht den Oscar eingebracht hat und ihn auch weit erhebt über die obszöne Mitleids-Hitlerei in „Der Untergang“.
Doch bei aller Einfühlungskunst spielt Whitakers Amin nicht die Hauptrolle in „The Last King of Scotland“. Viel mehr geht es um Garrigans Reise in eine Finsternis, wie man sie von Joseph Conrads berüchtigtem Roman kennt. Dabei ist Amin nichts anderes als ein Phantom, seine Gräueltaten sind nur Ausdruck für die Unmündigkeit, in die der Westen Afrika nach der Kolonialisierung entlassen hat. Deshalb darf der gesamte Staatsapparat, ob Geheimdienst oder die politische Klasse Ugandas, nur als Schemen durch den Film spuken. Nie werden etwa die tatsächlichen Auseinandersetzungen zwischen Amin und Obote anders ins Bild gerückt als durch anonyme Handlanger, die rasch in Flugzeughangars exekutiert werden. Tatsächlich nimmt „The Last King of Scotland“ kaum ernst, dass Amins Schreckensherrschaft ein Spiegel ideologischer, nationalistischer und territorialer Konflikte war. Und Garrigan? Wird am Ende tiefe Folternarben zurückbehalten, als Andenken aus Afrika. Verstanden hat er nichts, gelernt nur das Nötigste. Oder wie es ein britischer Geheimdienstler einmal sagt: „Wenn der afrikanische Mann etwas besitzt, dann ist es eine feste Hand.“ Diese Erkenntnis ist für einen Film über das postkoloniale Erbe zu wenig.
„The Last King Of Scotland“. Regie: Kevin MacDonald. Mit Forest Whitaker, James McAvoy. GB 2006, 123 Min.