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■ Press-SchlagEwald Lienen und die Zettelwirtschaft

Groß ist die Konfusion beim MSV Duisburg: der Kapitän wird gefeuert, angeblich unter Vertrag stehende Nigerianer wissen plötzlich nichts mehr davon, die Abwehr wankt und wabert, die Stürmer treffen alles, nur nicht Ball und Tor. Verzweifelt wühlt Trainer Ewald Lienen in seinen zigtausend Zetteln, aber er findet keine Lösung für die vielfältigen Kalamitäten. Da drängt sich die Frage auf: Ist Ewald Lienen selbst das Problem? Liegt alles an seiner vermaledeiten Zettelwirtschaft? Wir konnten einen Blick in die Duisburger Kabine nach dem letzten – verlorenen – Bundesligaspiel werfen.

Der Spieler Peter Közle sitzt auf einer schweren Harley Davidson. Vor ihm Trainer Ewald Lienen.

Ewald Lienen: Közle! Den hättest du doch reinmachen müssen. So was macht man doch rein. Da gibt es doch nix.

Közle: Äh, Trainer ...

Ewald Lienen: Den mußt du doch reinmachen. Mensch, Közle. Den hätte ja sogar noch meine Omma versenkt. Und die hat noch nie Fußball gespielt.

Közle: Trainer ...

Ewald Lienen: Da gibt es nix. Das Ding hättest du reinmachen müssen.

Közle: Trainer!

Ewald Lienen: Was ist?

Közle: Trainer, ich hab doch heute gar nicht mitgespielt. Hab doch nur auf der Bank gesessen.

Ewald Lienen: Was?

Közle: Ja, Sie haben mich doch nur als Ersatzspieler aufgestellt. Ich war doch gar nicht im Spiel heute.

Ewald Lienen: Moment, Moment. (Er kramt in seinen tausend Zetteln) Dreirad für Hubert kaufen ... Zahnarzttermin am Dienstag ... Schachtel Pralinen für Edeltrud ... Waschpulver, Hundefutter, Schokokekse, Küchenpapier, Dreiviertel Gehacktes ... Rollmann rauswerfen ... Bewerbung beim AC Mailand ...

Közle: Glauben Sie's mir, Trainer! Ich war heute nur Ersatz.

Ewald Lienen (kramt weiter in seinen Zetteln): Bewerbung Barcelona ... zwei Rosen für Edeltrud ... Donnerstag Friseur ... Ah, hier! Hier hab ich's. 83. Minute. Flanke von links. Gegnerischer Verteidiger rückt aus ...

Közle: Was?

Ewald Lienen: Wie?

Közle: Der Verteidiger, der gegnerische Verteidiger, was macht der?

Ewald Lienen: (liest noch mal vor) 83. Minute. Flanke von links. Gegnerischer Verteidiger rückt aus ...

Közle (Ewald Lienen über die Schulter schauend): Lassen Sie mal sehen, Trainer. (Er liest) 83. Minute. Flanke von links. Gegnerischer Verteidiger rutscht aus. Er rutscht aus, Trainer.

Ewald Lienen: Das ist ja wohl Rucki-Zucki, oder? (weiter den Zettel vorlesend) Freie Schußbahn, aber Közle schießt in den zweiten Stock. Und? Zweiter Stock! Mensch, Közle! Das Ding hätte sogar noch meine Omma reingemacht. So was muß doch einfach sitzen.

Közle (hat sich wieder auf sein Motorrad gesetzt, genervt): Trainer, ich war heute nur Ersatz. Ich habe nicht mitgespielt!

Ewald Lienen (den Zettel hochhaltend): Und das hier? Lügt Papier?

Közle: Trainer, schauen Sie mal auf den oberen Rand!

Ewald Lienen: Was?

Közle: Lesen Sie das, was oben auf dem Zettel steht, Trainer.

Ewald Lienen studiert wieder seinen Zettel, diesmal das obere Ende vom Blatt.

Közle: Und? Was steht da?

Ewald Lienen: 12. Oktober 1993.

Közle: Eben. Das war vor einem Jahr, Trainer. Nicht heute.

Ewald Lienen: Das ist interessant. (kramt in den Zetteln) 13. März 1992, 12. Februar 1989, 10. Dezember 1979, 3. Juli 1958. Interessant, interessant. Jetzt versteh ich auch, warum meine Frau seit drei Jahren nicht mehr mit mir redet. Die ist sauer, weil ich sie ständig mit der Edeltrud aus dem Konfirmationsunterricht verwechsle. Verdammt. Ich muß endlich mal Ordnung in meine Notizen bringen. Nane Jürgensen

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