piwik no script img

Evolutionsforscher über seinen Knochenfund"Eine neue Menschenform"

Der Leipziger Wissenschaftler Johannes Krause überraschte mit einer besonderen Entdeckung die Weltöffentlichkeit. Muss die Geschichte der Menschheit neu geschrieben werden?

Das Forschercamp im Altai-Gebirge, im Süden Sibiriens. Hier in der Denisova-Höhle fanden die Forscher das kleine Knochenstück. Bild: johannes krause/ap/nature
Interview von Sebastian Pittelkow

taz: Herr Krause, die Aufregung um ein winziges Stück Knochen und um Sie war groß in den vergangenen Tagen. Warum ist der Fund so spektakulär?

Johannes Krause: Die Fingerkuppe stammt aus einer Höhle im sibirischen Altai-Gebirge und ist zwischen 30.000 und 48.000 Jahre alt. Ich dachte ursprünglich, es handelt sich um einen Knochen eines Neandertalers. Nach vielen Tests stellte ich jedoch fest, dass er einer neuen Menschenform zuzuordnen ist. Als wir mit dem Ergebnis an die Öffentlichkeit gingen, schlug der Fund natürlich ein wie eine Bombe. Selbst fünf Tage später bekam ich immer noch etwa 20 Anfragen für Interviews am Tag. Es sollen TV-Dokumentationen gedreht werden; Ruhe für meine eigentliche Arbeit finde ich nur schwer.

Was können Sie von dem alten Knochen erfahren?

Er gehört zu einem Urmenschen. Der heutige moderne Mensch und der Neandertaler stammen beide vom Homo erectus ab. Alle drei Gruppen wanderten von ihrem Ursprung Afrika aus und verteilten sich in der Welt; zuerst der Homo erectus vor zwei Millionen Jahren, dann der Neandertaler vor 500.000 Jahren und schließlich der moderne Mensch vor 40.000 Jahren. Ich habe eine vierte Linie entdeckt, die vor etwa einer Million Jahre nach Asien auswanderte und sich folglich von der Linie des modernen Menschen abspaltete.

Gibt es Erkenntnisse, die sich auf den heutigen Menschen beziehen?

Uns interessiert nun nicht, wie diese Menschenform aussah, ob sie rote oder schwarze Haare besaß. Mein Institut will erforschen, auf welchem evolutionären Erfolg der moderne Mensch beruht. Dazu müssen wir die DNA des modernen Menschen mit denen seiner Vorfahren abgleichen, also mit der des Neandertalers und des Schimpansen. Im Fall des Knochens aus der sibirischen Denisova-Höhle gibt es starke Abweichungen.

Bild: mpi für evolutionäre anthropologie
Im Interview: 

Johannes Krause (29) arbeitet als wissenschaftlicher Mitarbeiter am Max-Planck-Institut für evolutionäre Anthropologie in Leipzig. Als Post-Doktorand entschlüsselte er in einer Forschungsgruppe den DNA-Code des Neandertalers. Nach seinem "Sensationsfund" soll nun der gesamte Code des Denisova-Menschen entschlüsselt werden. Damit soll nachgewiesen werden, dass neben Neandertaler und dem modernen Menschen eine dritte Menschenform die Erde bevölkerte. Vor seiner Promotion studierte Johannes Krause Biochemie.

Wie beschreiben Sie den Moment, als Ihnen bewusst wurde, was da unter Ihrem Mikroskop lag?

Es war ein krasses Gefühl, ich besaß unheimliche Zweifel. Dann führte ich stundenlange Tests durch, weil ich natürlich dachte, dass meine Hypothese nicht zutreffen würde. Zum Glück hatte ich so viel gut erhaltene DNA, dass ich alle anderen möglichen Szenarien ausschließen konnte. Der Mensch war weder krank, noch stimmte etwas an meiner Methode nicht. Meine Forschungsgruppe bestätigte mir das. Mein Chef, Svante Pääbo, wollte mir zuerst nicht glauben. Er war zu dem Zeitpunkt auf einer Konferenz in den USA. Erst als er sich Tage später von meinen Ergebnissen überzeugte, war die Sensation perfekt.

Erstmals wurde eine neue Menschenform nicht anhand von Fossilien, sondern mittels einer Erbgut-Analyse entdeckt. Wie genau funktioniert die Methode eigentlich?

Aus dem genetischen Material fischen wir DNA, also den genetischen Code, aus den Mitochondrien der Zellen. Dieses Verfahren hat unser Institut speziell für die Untersuchung menschlicher Codes wie dem des Neandertalers entwickelt. Ich konnte also auf ein bestimmtes Vorwissen zurückgreifen. Die unterschiedlichen DNA-Sequenzen spiegeln das verwandtschaftliche Verhältnis zwischen modernem Mensch, Neandertaler und der neuen Menschenform wieder. Legt man die DNA-Codes übereinander, wird deutlich, dass zwischen neuer Menschenform und dem modernen Menschen zweimal mehr Unterschiede bestehen als zwischen ihm und dem Neandertaler. Es handelt sich also mit Sicherheit um eine neue Form.

Es gibt Wissenschaftler, die Ihre Methode des Mitochondrien-DNA-Nachweises anzweifeln. Was können Sie denen entgegnen?

Die schiere Existenz dieser andersartigen DNA, ganz gleich ob sie vom Mann oder einer Frau stammt, ist der Beweis für eine neue Menschenform. Es ist aber richtig, dass ich anhand der Mitochondrien-DNA nicht feststellen kann, ob der gesamte Knochen von einer anderen Art des Menschen stammt.

Welche Nachweise müssen Sie noch erbringen?

Wir überprüfen derzeit, ob die Zellkern-DNA mit der der Mitochondrien übereinstimmt. In menschlichen Zellen gibt es bis zu 1.000 Kopien der Mitochondrien-DNA, von der Kern-DNA existieren nur zwei Abbilder pro Zelle. Deshalb ist der Vergleich sehr langwierig. Wenn sie schließlich übereinstimmen, dann ist das aber der endgültige Beweis. Anderenfalls ist die Entdeckung trotzdem spannend. Dann könnte es bedeuten, dass sich zwei verschiedene Menschenarten miteinander fortgepflanzt haben. Auch das konnten wir bisher nicht nachweisen.

Der Knochen stammt aus einer Urzeit-Höhle, ein Expeditionstrupp fand ihn, grub ihn aus - das klingt alles ein bisschen nach den Indiana-Jones-Filmen. Müssen wir die Geschichte der Menschheit neu schreiben?

Nein, das müssen wir nicht. Das Bild der Menschheit wird lediglich komplexer und interessanter. Ich glaube, niemand erwartet, dass die menschliche Evolution einfach ist.

Sie sagen, die Denisova-Höhle in Sibirien sei ein besonderer Fundort, warum?

Dort fanden russische Archäologen viele Steinwerkzeuge aus der Zeit der Neandertaler. Sie waren es auch, die uns die Fingerkuppe zuschickten. Besonders spannend ist nun, dass diese Funde aus derselben Schicht stammen wie die Fingerkuppe. Das kann bedeuten, dass der neue Denisova-Mensch ebenfalls Kunsthandwerk fertigte. Es ist aber nur eine von vielen Vermutungen und sie ist bisher so zutreffend, wie wenn man heute in Ägypten eine Pyramide öffnen und eine Mumie mit einer Coca-Cola-Büchse entdecken würde. Dann würde auch niemand sofort sagen, die Pharaonen hätten die Cola erfunden. Zweifel sind nach wie vor berechtigt.

Was können wir mit Sicherheit von der neuen Menschenform lernen?

Einerseits wissen wir, dass mehrere Menschenformen an einem Platz lebten. Trifft meine Annahme zu, dann wissen wir auch, dass es noch eine vierte Auswanderungswelle vor tausenden Jahren aus Afrika gab.

Was sind nun Ihre nächsten Schritte?

Bis zum Ende des Jahres wollen wir das Genom des neuen Menschen entschlüsseln. Bisher wissen wir, dass es sich um eine Frau handelt. In der sibirischen Höhle suchen wir trotzdem nach weiteren Knochen, die unseren Fund bestätigen können. Zudem werfen wir ein Auge nach China. Dort gibt es zwei Fossilien, die ganz anders aussehen als Neandertaler und moderner Mensch. Auch sie könnten unsere Vermutung bestätigen. Wir bauen dort gerade ein Institut auf.

Sie werden die Entschlüsselung des Genoms nicht mit bis zu dessen Ende begleiten. Warum?

Ich bin jung und habe trotzdem schon viel in dieser Fachrichtung erreicht. Die neue Menschenform, 25 wissenschaftliche Publikationen - ich bin ein bisschen verwöhnt und möchte wieder etwas Neues anfangen. Deshalb werde ich ab August höchstwahrscheinlich eine Professur an einer süddeutschen Universität antreten. Es fehlt nur noch die Unterschrift.

Wenn Sie der Vater dieser neuen Menschenform sind, welchen Namen wollen sie ihm dann zum Abschied geben?

(lacht) Bestimmt nicht Homo krausensis. So eitel bin ich dann doch nicht. Ich bin dafür, ihn Denisova-Mensch zu nennen, nach seinem Fundort. So hat man es auch beim Neandertaler gemacht. Letztlich ist das aber eine wissenschaftliche Nebensächlichkeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen

Mehr zum Thema

0 Kommentare

  • Noch keine Kommentare vorhanden.
    Starten Sie jetzt eine spannende Diskussion!