Evo Morales tritt zurück: Freude trifft Gewalt in Bolivien
Präsident Morales hat nach wochenlangen Protesten überraschend seinen Rücktritt verkündet. Doch auf Freude folgt eine Welle von Gewalt.
Evo Morales' Rücktrittsankündigung kam so überraschend wie vieles am Sonntag. Gegen sechs Uhr morgens informierte die Organisation Amerikanischer Staaten, dass sie bei der Überprüfung der Ergebnisse der Präsidentschaftswahl vom 20. Oktober „klare Manipulationen“ festgestellt hatte, und empfahl Neuwahlen. Morales kündigte zunächst Neuwahlen an, schloss einen Rücktritt aber aus.
Daraufhin verkündeten die Oppositionsführer, Morales' zweitplatzierter Wahlgegner Carlos Mesa und der Bürgeranführer Luis Fernando Camacho aus der größten Stadt Santa Cruz, die Proteste würden bis zu seinem Rücktritt weitergehen. Die obersten Chefs von Polizei und Streitkräften forderten ebenfalls Morales' Rücktritt. Das mag der entscheidende Punkt gewesen sein. Per Ansprache aus Chimoré, der Bastion der Kokabauern in der Region Cochabamaba, kündigte Morales seinen Rücktritt an.
Er trete zurück, damit wieder Frieden im Land einkehre, sagte er. Doch er blieb nicht bei versöhnlichen Tönen, sondern warf der Opposition erneut vor, einen Putsch gegen ihn angezettelt zu haben. Er wolle nicht, dass es neue gewaltsame Zusammenstöße gebe und weitere seiner Anhänger angegriffen und gequält würden. Brasiliens Ex-Präsident Lula da Silva sowie Venezuelas Präsident Nicolás Maduro sprachen Morales ihr Beileid wegen des „Staatsstreichs“ aus.
Eine Welle von Rücktritten
Tatsächlich war die Gewalt bis zum Samstag nahezu ausschließlich von seinen eigenen Anhänger*innen ausgegangen, die mit Stangen, Stöcken, Steinen und Sprengkörpern auf die Demonstrierenden losgegangen waren. Auch Vizepräsident Álvaro García Linera und Senatspräsidentin Adriana Salvatierra legten ihre Ämter nieder. Es folgte eine Welle an Rücktritten von Minister*innen und weiteren führenden Politiker*innen der Regierungspartei.
Derweil feierten die Menschen in den Straßen von La Paz den „Sieg der Demokratie“ mit Autokorsi, einem Meer von Fahnen und Gesängen. Väter trugen ihre Kinder auf den Schultern, Familien gingen Hand in Hand, Jugendliche und Senior*innen lachten über das ganze Gesicht.
„Ich bin tief bewegt und unendlich dankbar“, sagte Oppositionsführer Carlos Mesa umringt von der Menge bei einer kurzen Ansprache am Parque Universitario. „Dieses Volk hat Amerika und der Welt gezeigt, wie man eine Diktatur besiegt: mit Frieden, Engagement und demokratischer Überzeugung. Mit Jungen, Frauen, dem ganzen Volk, in 21 Tagen.“
In die Freude mischen sich auch nachdenkliche Töne. Es sei ein wichtiger, aber auch ein trauriger Tag, sagt der Musiker und Lebensmittelverkäufer Juan Carlos Gonzalez Vargas (48). „Ich bin nicht dafür, dass Evo Morales bleibt. Aber ich hätte mir gewünscht, dass er auf andere Weise geht.“
Morales hat viel für Bolivien getan
Dass er seine Niederlage eingestehe, keinen Wahlbetrug begehe und vielleicht später noch mal kandidiere. „Er hat sehr viel für unser Land getan hat. Man muss anerkennen, dass Bolivien beim Wachstum eines der besten Länder Lateinamerikas ist. Ich werde ihn auch vermissen, weil er die Menschen vom Land einbezogen hat.“
Da sei der Schmerz über die Toten bei den Protesten, sagte Virginia (62), die mit ihrem Mann durch die Straßen zog. Sie selbst habe nur an zwei Bürgerversammlungen teilgenommen. „Ich danke den jungen Leuten, die das hier bewirkt haben. Sie haben immer gerufen, dass sie nicht müde werden. Und so war es“, sagt sie. „Wir wissen, dass uns für die Demokratie harte Zeiten erwarten. Eine Gruppe von Leuten muss sich an die Spitze stellen, damit das hier weitergeht.“
Tatsächlich ist längst nicht Ruhe eingekehrt in Bolivien. Präsident Evo Morales muss den Rücktritt noch schriftlich erklären, damit er offiziell wird. Manche befürchten, dass er doch noch zurückkehrt. Es ist unklar, wo er sich aufhält. Am Sonntagabend twitterte er, dass die Behörden ihn festsetzen wollten. Zudem hätten gewalttätige Banden sein Haus gestürmt. Doch Polizeichef Yuri Calderon bestritt, dass ein Haftbefehl gegen Morales ergangen sei.
Festgenommen wurden jedoch fast 40 Beamte des Wahltribunals, das für Unregelmäßigkeiten bei der umstrittenen Wahl vom 20. Oktober verantwortlich sein soll, darunter auch die Vorsitzende Maria Eugenia Choque. Sie hatte ihren Rücktritt erklärt. Nach Angaben des mexikanischen Außenministers Marcelo Ebrard haben 20 Mitglieder der bolivianischen Regierung und der Justiz in der Botschaft in La Paz Asyl beantragt. Sein Land werde auch Morales Asyl anbieten, wenn er es suche, sagte Ebrard.
Anhänger von Morales wüten
Mit Einbruch der Dunkelheit begannen Anhänger*innen der MAS-Partei von Morales mit Plünderungen, Angriffen auf Zivilist*innen und Angriffen auf Privateigentum in mehreren Städten, berichtet die Zeitung Página Siete auf ihrem Onlineauftritt. Am meisten wüteten sie in La Paz und der Nachbarstadt El Alto, einer Hochburg der Morales-Anhänger. Es traf Firmen, Seilbahnstationen, das Rathaus und Privathäuser von Oppositionspolitikern.
In La Paz zündeten sie städtische Stadtbusse an und das Haus des Rektors der Universität UMSA, Waldo Albarracín. Auch zwei TV-Sender mussten wegen Drohungen von „masistas“ schließen. Binnen weniger Stunden ist die Angst zurückgekehrt.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Denkwürdige Sicherheitskonferenz
Europa braucht jetzt Alternativen zu den USA
„Edgy sein“ im Wahlkampf
Wenn eine Wahl als Tanz am Abgrund verkauft wird
Verlierer der Wahlrechtsreform
Siegerin muss draußen bleiben
Tabubruch der CDU
Einst eine Partei mit Werten
Jugendliche in Deutschland
Rechtssein zum Dazugehören
Nach der Sicherheitskonferenz
Expressverbindung von München nach Paris