Europawahl in Deutschland: Die Kleinen sind die Größten
Die drei kleinen Parteien Grüne, Linke und FDP haben alle zugelegt. Vor allem die FDP konnte ihr Ergebnis im Vergleich zu 2004 stark verbessern.
BERLIN taz | Klarer Gewinner der Europawahl - zumindest unter den kleinen Parteien - war am Sonntag die FDP. Sie konnte nach dem vorläufigen amtlichen Endergebnis 11 Prozent der Wählerstimmen gewinnen – ein satter Zuwachs um fast fünf Prozent. Die Grünen legten mit 12,1 Prozent ganz leicht zu, und die Linken kamen auf deutlich mehr mit 7,5 Prozent.
Union: 37,9 % (-6,6)
SPD: 20,8 % (-0,7)
Grüne: 12,1% (+0,2)
FDP: 11 % (+4,9)
Linke: 7,5 % (+1,4)
Sonst.: 10,8 % (+1)
Quelle: korrigiertes vorläufiges amtliches Endergebnis
FDP-Chef Guido Westerwelle zeigte sich strahlend und hocherfreut über das beste Europawahl-Ergebnis in der Geschichte der Liberalen. "Keine Partei hat so zugelegt wie wir", sagte er am Sonntagabend in Berlin. "Freude schöner Götterfunken", jubelte er. Bei der letzten Europawahl 2004 hatte die FDP noch bei 6,1 Prozent gelegen.
Westerwelles Amtsvorgänger Wolfgang Gerhard wertete das Resultat als gutes Zeichen für die Bundestagswahl. Es bedeute, dass die Aussichten für ein Regierungsbündnis von Union und FDP für die Bundestagswahl gut ständen, sagte er in der ARD. "Wir sind auf einem guten Weg."
Auch die Grünen zeigten offene Freude: Sie blieben auf hohem Niveau stabil und damit drittstärkste Kraft. Sie übertrafen ihr bisheriges Bestergebnis von 2004 noch einmal um 0,2 Prozentpunkte.
Sie waren überzeugt, dass man in dieser wirtschaftlich schlechten Zeit einen Green-New-Deal braucht - und Armut, Klimawandel und Rezession zugleich bekämpfen kann. Darum plakatierten sie die Republik mit dem Slogan: "Mit Wums! für ein besseres Europa".
Auch wenn sie für den Kunstbegriff "Wirtschaft, Umwelt, Menschlich und Sozial" viel belächelt wurden - bei der Stammklientel kam die Botschaft offenbar an. Mit "Wums" kamen die Grünen auf ein "saustarkes Ergebnis", sagte die Wahlkampfleiterin Steffi Lemke.
Bisher waren die deutschen Grünen mit 13 Abgeordneten im Europaparlament vertreten, dabei wird es in etwa bleiben. Rebecca Harms ist eine von ihnen. Die niedersächsische Anti-Atomaktivistin sagte am Sonntag auf der grünen Wahlparty in der Berliner Heinrich-Böll-Stiftung: "In der Krise zählt nicht die Konkurrenz der Nationalstaaten sondern das Zusammen." Die Grünen seien die einzige Partei, die wirklich auf Europa setze.
Harms war schon fünf Jahre Europaabgeordnete, stand an der Spitze der Kandidatenliste, vor Ex-Parteichef Reinhard Bütikofer. Bütikofer geht als Newcomer nach Straßburg - und freut sich drauf. Er ist überzeugt: "Es wird eine europäische grüne Fraktion geben, die stärker ist als je zuvor." Die Grünen schneiden bei Europawahlen traditionell ganz gut ab. Sie können ihre Klientel zur Stimmabgabe motivieren - das macht sich bei einer geringen Wahlbeteiligung besonders bemerkbar.
Dazu kam allerdings etwas Neues: Die Financial Times Deutschland hat vor wenigen Tagen erstmals eine grüne Wahlempfehlung ausgesprochen, die war bisher schwarz oder gelb. Den Grünen wird in diesen schlechten Zeiten von neuer Seite etwas zugetraut. Richtig hinzugewinnen konnten die Grünen darum aber nichts.
Die Partei selbst hatte vor allem um jene geworben, die sich von ihnen in rot-grünen Regierungszeiten abgewandt hatten - mit Prominenz aus der außerparlamentarischen Bewegung. Sie hievten Sven Giegold, den Mitbegründer von Attac-Deutschland, auf Platz vier der Europaliste und Barbara Lochbihler, die Generalsekretärin der deutschen Sektion von Amnesty International auf Platz fünf. Dazu holten sie den DDR-Bürgerrechtler Werner Schulz ins Europateam und für die jüngeren Wähler auch die 27-jährige Ska Keller aus Brandenburg.
Die Grünen wollen für die Bundestagswahl den Platz drei, hinter den Konservativen und den Sozialdemokraten, sagte Bütikofer. Ob sie bei ihrem Slogan "Wums" bleiben, wissen sie aber noch nicht.
Diesmal wird es eine richtige Party werden - die Linke wollte das Ergebnis für die Europawahl nicht mehr in der engen grauen Parteizentrale feiern, sondern zog in den Szenetreffpunkt Kulturbrauerei in Berlin-Prenzlauer Berg. Mehr Pop, weniger Gewerkschaftssound und verkniffene Kämpferposen.
Das hätte auch klappen könne, hätte die Partei auch nur annähernd ihr Wahlziel erreicht: 10 Prozent plus X. Doch bei 7,5 Prozent war Schluss. 2004 war sie nicht angetreten, dafür erhielt aber die PDS 6,1 Prozent.
Lother Bisky, Parteichef und Spitzenkandidat für die Europawahl versuchte, das Ergebnis in einen Sieg umzureden. "Wir haben als Linke zugelegt, das ist nicht selbstverständlich", sagte Bisky. Das klang wenig inspiriert, aber das war egal, sein Publikum klatschte trotzdem nach jeder Pause artig.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Haftbefehl gegen Netanjahu
Sollte die deutsche Polizei Netanjahu verhaften?
Sourani über das Recht der Palästinenser
„Die deutsche Position ist so hässlich und schockierend“
Buchpremiere von Angela Merkel
Nur nicht rumjammern
Deutscher Arbeitsmarkt
Zuwanderung ist unausweichlich
Deutschland braucht Zuwanderung
Bitte kommt alle!
Autounfälle
Das Tötungsprivileg