Europarat: Anti-Folter-Kommission: "Wir nehmen Gefangene ernst"
Die Anti-Folter-Kommission des Europarats besucht regelmäßig und unangekündigt Gefängnisse. Ihre Beurteilungen können ernste Folgen für die Staaten haben
taz: Herr Heinz, eine Delegation des Anti-Folter-Komitees hat eben Deutschland besucht. Heißt das, dass in Deutschland gefoltert wurde?
Wolfgang S. Heinz: Das war ein Routinebesuch. Das Anti-Folter-Komitee besucht etwa alle vier Jahre die 47 Staaten des Europarats.
Routinebesuch, das klingt harmlos.
Für die Staaten ist ein Besuch des Anti-Folter-Komitees durchaus nicht harmlos. Wir können zu jedem Zeitpunkt unangemeldet jede Einrichtung aufsuchen, in der Menschen gegen ihren Willen festgehalten werden - Gefängnisse, Polizeiwachen, psychiatrische Anstalten. Und wir haben das Recht, mit jeder festgehaltenen Person unter vier Augen zu sprechen.
Um zufällig Hinweise auf Folter zu finden?
Es geht um jede Form der Misshandlung, einschließlich menschenunwürdiger Haftbedingungen und schlechter medizinischer Versorgung. Auch Übergriffe durch andere Gefangene sind ein Thema - und wie die Einrichtung damit umgeht.
Wie reagieren die kontrollierten Gefängnisdirektoren?
Sie sind meist nervös, weil sie unseren Besuch nicht recht einschätzen können. Für viele ist es zudem schwer zu akzeptieren, dass wir auch mit Untersuchungs- und Strafgefangenen sprechen und erst mal ernst nehmen, was diese sagen. Aufgeklärte Beamte sehen aber auch die Chance, mit unseren Beanstandungen im Rücken notwendige Verbesserungen durchzusetzen.
Was passiert nach dem Besuch?
Die Beobachtungen werden in einem Bericht zusammengestellt und mit Empfehlungen versehen. Den bekommt zunächst die jeweilige Regierung, weil sie für die Einhaltung der Menschenrechte zuständig ist.
Delegation: Mitglieder des Anti-Folter-Komitees haben seit Ende November die Situation in Deutschland begutachtet. Das teilte der Europarat an diesem Montag mit. Die neunköpfige Delegation, der kein Deutscher angehörte, stand unter Leitung des Iren Timothy Dalton. Die Delegation informierte sich unter anderem bei Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger. Sie wird ihren Bericht in etwa einem halben Jahr vorlegen. Er wird gemeinsam mit einer Stellungnahme der deutschen Regierung voraussichtlich in einem Jahr veröffentlicht.
Besuchte Einrichtungen: 17 Gefängnisse, Polizeistationen und psychiatrische Kliniken in sechs Bundesländern (Baden-Württemberg, Bayern, NRW, Berlin, Sachsen und Sachsen-Anhalt) suchte die Delegation auf. Ihren Schwerpunkt legten die Experten diesmal auf Polizeiwachen, Abschiebehaftanstalten, Jugendgefängnisse und Einrichtungen der Sicherungsverwahrung.
WOLFGANG S. HEINZ (56) ist deutsches Mitglied im Anti-Folter-Komitee des Europarats. Neben diesem Ehrenamt arbeitet der Politologe hauptberuflich am Deutschen Institut für Menschenrechte."
Folgen die Staaten regelmäßig Ihren Empfehlungen?
Einfachere Mängel werden oft sehr schnell abgestellt. In einer osteuropäischen Haftanstalt fanden wir Sichtblenden vor den Zellenfenstern, so dass die Gefangenen kein Tageslicht sehen konnten. Wir haben das vor Ort beanstandet und am nächsten Tag kam die Meldung, dass die Blenden abgebaut wurden. Die Schließung einer heruntergekommenen Haftanstalt dauert oft ziemlich lange. Besonders vor dem EU-Beitritt der osteuropäischen Staaten hatten unsere Empfehlungen großes politisches Gewicht.
Was passiert, wenn ein Land wie Griechenland regelmäßig Empfehlungen ignoriert?
Dann wird ein Staat jedes Jahr besucht. Mit Griechenland wurden im Januar ernste Gespräche auf Ministerebene geführt. Als gravierendster Schritt kann das Anti-Folter-Komitee öffentlich bekanntgeben, dass ein Staat nicht kooperiert. Das gab es erst fünfmal - zweimal war in den 90er-Jahren die Türkei betroffen und dreimal Russland, zuletzt 2007. Darüber hinaus hat natürlich auch der Europarat noch Sanktionsmöglichkeiten.
In welchen Staaten Europas gibt es Folter im engeren Sinne?
Auf einzelne Misshandlungsvorwürfe traf das Komitee in vielen Ländern. Über eine größere Anzahl von Fällen hat es in den letzten Jahren zum Beispiel aus Albanien, Armenien, Aserbaidschan, Griechenland, Montenegro, Russland und der Ukraine berichtet. Ob sich ein Foltervorwurf bestätigt, entscheiden aber die nationalen Gerichte und der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte.
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