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■ Europaparlament läßt Richtlinie für Genpatente scheiternDie Moral verpflichtet beide Seiten

Selbst die schärfsten Kritiker waren überrascht. Niemand hatte mehr ernsthaft damit gerechnet, daß eine deutliche Mehrheit der Europaabgeordneten so hartnäckig dem Druck von Regierungen und Konzernen widerstehen würde. Jahrelang haben Pharma- und Agrarindustrie versucht, in Europa ein Patentrecht für die Kreationen aus den Genlabors durchzusetzen. Mit der Richtlinie, die am Mittwoch in Brüssel gescheitert ist, standen sie kurz vor dem Ziel. Sogar bislang verbotene Dinge wie der direkte Eingriff in die Keimzellen von Menschen wären vorbeugend unter den Schutz des Urheberrechts gestellt und damit erst ein lohnendes Geschäft geworden.

Moralische Gründe sprachen für die Mehrheit der Abgeordneten gegen dieses ausschließlich wirtschaftliche Interesse. Ausnahmsweise darf diese Abstimmung daher tatsächlich als Sieg der Vernunft über den bloßen Verstand bewertet werden. Kaum verwunderlich deshalb aber auch, daß der Jubel der Sieger eher verhalten ausfiel. Das Niveau verpflichtet. Ab sofort stehen sich im Streit um die Gentechnik nicht mehr nur die Lager der globalen Befürworter und Gegner gegenüber. Das Europaparlament hat auch nicht über Schlagworte wie „Fortschritt“ oder „Frevel“ abgestimmt, es hat versucht, eine Grenze des Legitimen zu ziehen, die nun beide Seiten dazu zwingt, neue Unterscheidungen zu treffen. Einige, aber nicht alle gentechnischen Manipulationen sind ein Verbrechen am Leben, danach haben sich Forschung und Industrie zu richten. Und die Kritiker müssen lernen, daß einige ihrer Vorwürfe der Sache nicht gerecht wurden. Gewiß nicht jedes, aber vielleicht manches zunächst moralisch plausible Verbot kann sich als Zensur der Wissenschaft erweisen, deren Folgen gleichfalls nicht zu rechtfertigen sind.

Ohnehin ist die Gentechnik nicht mehr aufzuhalten, sie kann nur noch gelenkt werden. Unter moralischen Gesichtspunkten mögen daher einige ihrer Errungenschaften legitim sein, und das um so mehr, als sie nicht beinahe schrankenlos der wirtschaftlichen Verwertung offenstehen, die ihnen die gescheiterte Patentrichtlinie garantiert hätte. Was getan werden darf und was nicht, das kann jetzt diskutiert werden. Die Entscheidung fällt nicht in der Marketingabteilung des Konzerns, der die Forschung finanziert hat.

Möglicherweise ist es schon wieder nicht vernünftig, an so viel Vernunft zu glauben, gar noch daran, daß sie in Brüssel ansässig sei. Angesichts der immerhin denkbaren Apokalypse einer totalen technischen Verfügbarkeit des Lebens ist diese Hoffnung aber auch die einzige eben noch erträgliche Annahme über die Zukunft des Planeten. Niklaus Hablützel

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