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Europäische Dimensionen

Configura1 — Kunst in Europa, eine Ausstellung, errichtet auf den Trümmern der letzten Kunsthandwerks-Quadriennale der sozialistischen Länder in Erfurt/ Bis zum 4.August zu sehen  ■ Von Dirk Langenhan

Erfurt (taz). Erfurt bemüht sich dieser Tage, eine Ausstellung von europäischer Dimension zu präsentieren: die Configura1. Errichtet auf den Trümmern der letzten Kunsthandwerks-Quadriennale der sozialistischen Länder, soll sie wiederbeleben, was unter die Räder der Vereinigung kam. Mit erweitertem Konzept und höherem Anspruch will sie in ihrer Art Einmaligkeit beweisen und sich so einen Platz in der europäischen Kunstszene sichern. Folgt man der Ausstellungslineatur durch die sieben Messehallen des tristen IGA- Geländes, so begibt man sich unweigerlich auf visuelle Entdeckungsreise. Eine raffiniert konstruierte Ausstellungsarchitektur zwingt den Besucher, sich mit verschiedensten Objekt-Räumen auseinanderzusetzen: Beginnend in einer großflächigen Inszenierung, wird das Raumgefüge allmählich dichter und verflochtener, um sich in seinem Verlauf nach und nach wieder zu öffnen und in einer weitläufigen Menagerie zu enden. Vom großzügigen Entreé gelangt der Besucher, allerlei Nischen erforschend, in ein verästeltes Labyrinth, und aus diesem, vorbei an Vitrinen und Kojen, wieder hinaus zum beschließenden Finale. So erlebt er das künstlerische Werk, einzeln oder im Ensemble, nicht als beziehungslos hingesetztes Ding, sondern als räumlich definierten Fixpunkt.

Das Spektrum der Configura1 ist breit. So ziemlich alles, was im Freiraum zwischen angewandter und freier Kunst entsteht, ist hier zu sehen. Das aus Tradition und sich stets erneuernde hohe Niveau der tschechoslowakischen Glasgestaltung zum Beispiel, zeigt sich in einer 50cm großen Plastik aus geschliffenem Rubinglas von Jan Fisar. Als einer von 17 ausstellenden Künstlern aus der CSFR, bedient er sich eindrucksvoll der Kälte, der Glätte, der Lichthaltigkeit und farbigen Leuchtkraft dieses kristallinen Materials. Seine Plastik „Adler“, eine fast abstrakte Skulptur, besticht sowohl durch handwerkliche Perfektion als auch durch die schlichte Klarheit ihrer überaus rational übersetzten, ästhetischen Form. Stanislav Libinsky, Askold Zacko und Dana Vachtova — um nur einige seiner Landsleute zu nennen — nähern sich dem Medium Glas in anderer Weise. Hier kontrastieren farbig kombinierte Scherben als expressive Formspielereien zu symbolgeladenen, gläsernen Orakeln; geätztes steht gegen poliertes und transparentes gegen reflektierendes Glas. Angesichts der künstlerischen Vielfalt wird der Betrachter schnell begreifen, daß sich die „freie“ Glaskunst in den letzten Jahren in enger Verbindung zur bildenden Kunst entwickelt hat.

Alessandro Mendini und Alessandro Guerriero, beide Vertreter des bekannten italienischen Designerstudios Alchimia, sind auf der Configura1 mit jeweils einer raumgestaltenden Arbeit vertreten. Ihre eigenwilligen Szenarien aus Farben, Formen und Flächen sollen rehabilitieren, was den strengen Gesetzen des Funktionalismus zum Opfer gefallen war: Zweckfreie Verzierung und verspieltes Dekor. Wohl als Angriff auf nüchterne Bauhaus-Sachlichkeit und als Möglichkeit der dekorativen Überhöhung, steht Guerrieros „antirhetorisches Zimmer“. Ein kleiner quadratischer Raum mit Tisch und Stuhl, der geradezu überschwemmt ist von farbintensiven, abstrakten Ornamenten. Die Decke, der Boden, die Wände und selbst die Möbel sind bedeckt von organisch-bewegten oder geometrisch-statischen Mustern. Nichts bleibt ohne Dekor. Alle Flächen werden aktiviert und beginnen scheinbar zu pulsieren. Vom menschlichen Auge absorbiert, dringen die fast agressiven optischen Reize in das Unterbewußtsein. Guerriero erforscht damit die vermeintliche Wechselbeziehung von Innen- und Außenwelt. Er geht der Frage nach, inwieweit der gestaltete Raum stimulierend auf die menschliche Psyche wirken kann. Das „antirhetorische Zimmer“ — nur ein farbpsychologisches Experiment oder vielleicht schaurig-schöne Folterkammer für die Sinne?

Auf ganz anderer Ebene dagegen arbeitet der Österreicher Manfred Nissmüller. Obwohl in der Vergangenheit durch avantagardistischen Schmuck bekannt geworden, entwirft er auf derConfigura1 in reiner, knapper Form ein symbolgeladenes Denk-Mal aus völlig unpopulären Materialien und Gegenständen. Sein Objekt „Krone im Einkaufswagen“ lebt, ohne jede gestalterische Raffinesse, allein von der puren Idee. Die, in einem simplen Supermarkt-Einkaufswagen verstaute, riesige goldene Krone gerät zur sarkastischen Illustration westlicher Konsumperversion. Nissmüller provoziert die Frage: Ist Macht und Ansehen wirklich käuflich? Er präsentiert uns ein schnörkelloses Objekt als ironischen Kommentar — und als verschlüsselte Posse auf das krankhaft übersteigerte Geltungsbedürfnis des zivilisierten Wohlstandsmenschen.

Obgleich die Configura1 trotz ihres gewaltigen Umfangs (272 Künstler aus 23 Ländern) kaum mit bekannten Namen aufwarten kann oder will, verliert sie sich nur selten im Mittelmaß. Mag sich die Ausstellung mitunter genau jener Konventionen bedienen, die sie eigentlich attackieren will, so zeigt sie doch offene, vielschichtige Weltschichten in unterschiedlichsten Farben, Formen und Materialien. Und sie beweist, daß gerade auch ungerühmte, meist junge Künstler, zu kreativen Meisterleistungen fähig sind, und so internationalen Trend mitbestimmen.

Ob Skulptur oder Installation, Schmuck oder Design, Textiles oder Hölzernes, Avantgardistisches oder Traditionelles — immer sensible Interpretation eines künstlerischen Gedanken.

Die Ausstellung ist bis zum 4.8., täglich von 9 bis 18 Uhr, auf dem Erfurter IGA-Gelände zu sehen. Der 400 S. starke Katalog kostet 60 DM.

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