Europäische AKW-Prüfung: Relaxter Stresstest
Europas Atomkraftwerke haben Sicherheitsmängel, sagt die EU. Trotz deutlicher Worte stößt der Prüfbericht auf Kritik – weil er wichtige Fragen ausblendet.
FREIBURG taz | Über eineinhalb Jahre nach der Atomkatastrophe von Fukushima hat die EU am Donnerstag das Ergebnis eines Stresstest an ihren 134 Reaktoren offiziell vorgestellt. Es gibt Sicherheitsmängel, so das Fazit.
Aber geschlossen werden müssen die europäischen Atomkraftwerke nicht, stellte EU-Energiekommissar Günther Oettinger klar. Der Test sei „kein Blankoscheck, aber auch kein automatischer Hebel für den Abschaltzwang“, sagte Oettinger. Bereits zu Beginn der Woche war eine Vorabversion des Berichts an die Öffentlichkeit gelangt.
Auch deutsche AKWs sind betroffen: Besonders die norddeutschen Atomkraftwerke Brokdorf, Emsland und Grohnde haben Nachholbedarf beim Thema Erdbebenschutz. Auf besonders große Mängel stießen die Experten bei französischen Atommeilern. Europaweit geht Oettinger von Nachrüstungskosten in Höhe von 10 bis 25 Milliarden Euro aus.
Ursprünglich sollte die Sicherheitsanalyse neben naturbedingten Einwirkungen auch Terrorgefahren untersuchen, doch dieses Thema wurde – offenbar aufgrund von Widerständen aus Frankreich und Großbritannien – ausgeklammert. Die EU richtete daraufhin zwar eine eigene Arbeitsgruppe zu diesem Thema ein, die ihren Abschlussbericht bereits im Mai veröffentlichte.
Doch der blieb ohne konkrete Ergebnisse. Der Bericht enthält lediglich Empfehlungen ohne Zeitplan und legt deren Umsetzung in die nationale Verantwortung; Sicherungsmaßnahmen spezifisch für die einzelnen Atomkraftwerke wurden nicht analysiert.
„Bis zur Unstressigkeit entschärfter“ Stresstest
Flugzeugabstürze waren ebenfalls kein Thema, egal ob Terroranschlag oder Unfall. Deshalb stößt das Papier auf viel Kritik. „Das ist so, als würde der TÜV bei einem PKW nur nach Roststellen suchen, aber die Bremsen nicht überprüfen“, sagte Jochen Stay, Sprecher der Anti-Atom-Organisation ausgestrahlt. Der Stresstest sei in Wirklichkeit ein Schnarchtest gewesen. Ohnehin sei nur ein Drittel der Atomkraftwerke von Prüfern besucht worden, in Deutschland sogar nur zwei Anlagen. Die meisten Angaben stammten von den AKW-Betreibern selbst. Neben Flugzeugabstürzen seien auch Probleme mit der Notstromversorgung nicht betrachtet worden.
Greenpeace-Atomexperte Tobias Riedl folgert: „Bei einer strengeren Überprüfung wäre das Urteil für die meisten Reaktoren vernichtend ausgefallen.“ Da auch die Alterung der Reaktoren nicht berücksichtigt worden sei, müsse Deutschland schneller aus der Atomkraft aussteigen.
Sylvia Kotting-Uhl, Sprecherin für Atompolitik der Grünen im Bundestag, sprach von einem „bis zur Unstressigkeit entschärften“ Stresstest. Wenn man dennoch zu einer so langen Mängelliste komme, müsse man diese umso ernster nehmen. Europa müsse die Risikoreaktoren unverzüglich stilllegen. Hierzu zählten die französischen Anlagen Fessenheim und Cattenom, das britische Wylfa und das schweizerische Beznau, das älteste noch laufende Atomkraftwerk der Welt.
Zugleich kritisierte die Umweltpolitikerin Altmaiers Einstellung, Nachrüstungen für deutsche Meiler nur auf das noch Machbare zu beschränken: „Dieses Amtsverständnis ist verfehlt.“ Vielmehr sei es die Pflicht des Ministers, die Sicherheitsanforderungen auf das nach Fukushima notwendige Maß zu erhöhen. Führe das zu betriebswirtschaftlich unangenehmen Konsequenzen für die AKW-Betreiber, so sei das deren Problem. Wenn es sich als ökonomisch sinnvoll herausstelle, weitere AKWs abzuschalten, sei das umso besser: „Für unvertretbare Risiken darf es keinen Bestandsschutz auf Kosten der Bevölkerung geben“, sagte Kotting-Uhl.
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