: Europa ist nur ein weiterer Ort
Der erste kurdische Spielfilm „Ein Lied für Beko“ ■ Von Petra Kohse
Ein Dorf im türkischen Kurdistan, 1988: der kurdische Bauer Beko wird von türkischen Militärs gefangengenommen. Man will die Rückkehr des vor dem Militärdienst geflohenen Bruders Cemal erzwingen. Beko flieht ebenfalls und gelangt unter abenteuerlichen Umständen nach Syrien. Von dort aus geht es weiter in die irakischen Berge. Er hofft, Cemal bei den Peschmergas zu finden, bei den kurdischen Partisanen, die sich an der Grenze zwischen Iran und Irak versteckt halten. Er bleibt in einem kleinen Lager mitten im Kriegsgebiet und wartet auf Nachricht von seinem Bruder. Er wartet umsonst. Da erreicht die Botschaft von Waffenstillstandsverhandlungen das kleine private Auffanglager. Einige der Familien wollen in ihre Dörfer zurück, doch die „Gastgeberin“ warnt: Da Saddam Hussein jetzt die Hände wieder frei hat, werde er sich an den Kurden schadlos halten. Sie ziehen trotzdem los, und Beko folgt ihnen auf die Bitte der elternlosen Zine. Sie erreichen ihr zerbombtes Dorf. Beko geht noch einmal zurück, um den Rest der Habseligkeiten zu holen. Als er wiederkommt, sind fast alle tot – ein irakischer Giftgasangriff. Nur Zine lebt noch. Beko nimmt sie auf den Arm, und irgendwie erreicht er Europa. In einem Hamburger Krankenhaus wird das Mädchen an den Augen operiert. Beko kommt in einem Asylbewerberheim unter. Bei einem kurdischen Treffen erfährt er, daß man seinen Bruder gefaßt und in eine türkische Uniform gesteckt hat. Während eines Angriffs auf Kurden wurde er von Männern des eigenen Volkes erschossen.
„Ein Lied für Beko“, der erste kurdischsprachige Spielfilm, ist außergewöhnlich. Das beginnt schon damit, daß er 1992 als deutscher Beitrag bei den Filmfestspielen in Venedig gezeigt wurde, wo er zwei Preise gewann. Produziert hat den Film Margarita Woskanian, eine Berlinerin armenischer Herkunft. Als Koproduzenten zeichnen der WDR und die eigens zu diesem Zweck gegründete „First Independant Armenian Filmproduction“. Unter schwierigsten und durchweg illegalen Bedingungen drehte das Team an der armenischen Grenze zur Türkei – dem einzigen Ort, an dem man, was Landschaft, ihre Bewohner und deren Sprache betrifft, originale Bedingungen vorfand. Einleuchtend ist auch die Personalunion von Hauptdarsteller, Regisseur, musikalischem Leiter und Koautor. Nizamettin Aric, so der Name des erst 36jährigen kurdischen Multitalents, kam 1981 nach Berlin. In der Türkei hatte er sich bereits als Sänger und Schauspieler einen Namen gemacht, hierzulande trat er bisher als Musiker in Erscheinung. „Ein Lied für Beko“ ist sein erster eigener Film. Gemeinsam mit dem Kameramann Thomas Mauch und Christine Kernich (Drehbuch, Kostüm, Maske) gelang ihm eine ruhige, reduzierte, ausdrucksstarke, sehr musikalische Umsetzung der bitteren und leider ganz und gar nicht konstruierten Geschichte.
Am Anfang sitzt Beko vor seinem Haus und spielt Flöte. Seine Schwägerin und sein Neffe treten vor die Türe und sehen ihm traurig zu, vor wenigen Stunden ist Cemal geflohen. Hunde kläffen. Dann überfallen Horden Schwerbewaffneter das ärmliche Dorf. Die Bewohner werden auf einem Platz zusammengetrieben, die Hände über dem Kopf. Im nachmittäglichen Gegenlicht sieht man ringsum auf den Felsen Soldaten stehen. Sie durchsuchen das Haus. Das wenige Geschirr, ein paar Laken und Lebensmittel werden auf den Hof geschmissen. Die Kamera fixiert das Häufchen, schwere Stiefel treten darauf. Alltäglicher Terror, genau und schlicht erzählt, ohne jegliche Larmoyanz.
Das Lagerleben in der kalten, ockerfarbenen Hochebene: zwei Zelte, einige Schafe, eine Feuerstelle. Keiner sagt mehr, als er zu sagen hat, jeder tut, was zum Überleben nötig ist. „Wo soll ich hin, wenn ich meinen Bruder gefunden habe?“ fragt Beko die Gastgeberin. „Was fragst du mich“, antwortet sie. „Dies ist mein Land, und woanders bist du auch nicht nützlicher als hier.“ Vor Übelkeit schwankend, sucht Beko am Ende im vergasten Gebiet nach Überlebenden. Das Bild verschwimmt, kein Umweltgeräusch ist zu hören, nur Musik aus dem Off. Als er Zine gefunden hat, schärfen sich die Konturen wieder. Über einen nackten Hügel stolpert er mit ihr, darüber wird ein weiterer, höherer sichtbar, dann noch einer und noch einer. Fern hinter jeglichem Nichts scheint die Rettung zu liegen. Aber auch Europa ist nur ein weiterer Ort. Und Beko in Hamburg nicht nützlicher als anderswo.
„Der Film zeigt, was heute in Kurdistan jedem geschehen kann“, so Nizamettin Aric über seinen Film. „Wo kaum mehr als das nackte Leben bleibt, ist Hoffnung ein Lebensmittel. Je mehr Menschen in der Welt von uns wissen, um so mehr können wir hoffen. Darum habe ich diesen Film gemacht.“ Einen deutschen Verleih hat „Ein Lied für Beko“ noch nicht. Dafür das Prädikat „Besonders wertvoll“.
Heute um 18.15 Uhr im Xenon, Kolonnenstraße 5, Schöneberg
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