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Europa- und Kommunalwahl in IrlandRegierung droht historische Pleite

Kein entwickeltes Land hat seit den 30er Jahren eine solche Depression erlebt wie Irland. Die Wut wächst. Am Freitag wird gewählt.

Hat sich vor allem dem Schaffen von Steuer-Schlupflöchern gewidmet: Premierminister Brian Cowen. Bild: dpa

In Irland wird am Freitag gewählt. Neben den Europawahlen finden auch Kommunalwahlen und zwei Nachwahlen für das Dubliner Parlament statt. Das Thema ist für alle Wahlen vorgegeben: die Wirtschaftskrise. Kein anderes EU-Land ist so schnell und so tief in die Rezession gerutscht wie die Grüne Insel. Finanzminister Brian Lenihan prophezeite im April, dass die irische Wirtschaft bis Jahresende um 7,7 Prozent schrumpfen, das Haushaltsdefizit um 10,75 Prozent steigen werde.

Diese Zahlen sind optimistisch. Die Europäische Kommission erwartet eine 9-prozentige Schrumpfung und ein 12 Prozent größeres Haushaltsloch. Das sei das höchste Defizit in der Eurozone, sagte EU-Kommissar Joaquín Almunia, und wenn die Regierung nichts unternehme, werde es sogar auf 15,6 Prozent steigen. Die Staatsverschuldung wird im nächsten Jahr nach Schätzungen bei knapp 80 Prozent des Bruttoinlandsprodukts liegen - dreimal so viel wie 2007. Hatte Irland bis vor einem Jahr nahezu Vollbeschäftigung, liegt die Arbeitslosigkeit jetzt schon bei 11,3 Prozent, bis Ende nächsten Jahres wird sie auf mindestens 20 Prozent steigen. Die Steuereinnahmen sind um fast ein Viertel im Vergleich zum Vorjahr gesunken, die Immobiliensteuern sogar um fast zwei Drittel. Die Schere zwischen Einnahmen und Ausgaben lag in den ersten vier Monaten dieses Jahres bei 7,3 Milliarden Euro. Kein entwickeltes Land hat seit den Dreißigerjahren eine solche Depression erlebt wie Irland. Das Land steht kurz vor der Pleite.

Die Probleme sind nur zum Teil der Weltwirtschaftskrise geschuldet, zum größeren Teil sind sie hausgemacht. Fianna Fáil ("Soldaten des Schicksals"), die das Land seit 1932 mit kurzen Unterbrechungen wie ein Familienunternehmen regiert, hat sich schon immer mehr um ihre Leute als um das Land gekümmert. So hat Brian Cowen, der seit einem Jahr Premierminister ist und zuvor Finanzminister war, ein Steuersystem geschaffen, das den Millionären so viele Schlupflöcher bot, dass Tausende von ihnen keinen Cent Steuern zahlen mussten.

Die Wut auf die Politiker ist groß. Irland hat nicht nur mehr Abgeordnete als die meisten anderen Länder, wenn man es auf die Bevölkerungszahl umrechnet, sondern auch die bestbezahlten Volksvertreter. Vetternwirtschaft ist weit verbreitet, was zum Teil am irischen Wahlsystem liegt. Die Kandidaten kommen nur durch Direktwahl ins Parlament, das Sicherheitsnetz einer Liste gibt es nicht, und für den Wahlkampf ist jeder auf großzügige Spenden angewiesen. Das gilt auch für den Premierminister. Selbst er muss ständig in seinem Wahlkreis Sprechstunden abhalten, an Sport- und Kulturveranstaltungen teilnehmen und Beerdigungen besuchen. Im Parlament herrscht bei Debatten deshalb meist gähnende Leere.

Doch das Klinkenputzen wird Fianna Fáil bei den anstehenden Wahlen nicht nützen. Die Partei wird das schlechteste Wahlergebnis in ihrer Geschichte einfahren, sie liegt nach Umfragen vom Wochenende nur noch bei 20 Prozent. Fine Gael ("Stamm der Gälen"), die größte Oppositionspartei, kommt auf 34 Prozent. Inhaltlich unterscheiden sich die Parteien nur marginal, beide gehören dem rechten Spektrum an, beide sind in den Zwanzigerjahren aus Abspaltungen der Irisch-Republikanischen Armee (IRA) und ihrem politischen Flügel, Sinn Féin, hervorgegangen. Die Labour Party, die zu den schwächsten und konservativsten sozialdemokratischen Parteien in Europa zählt, könnte mit 23 Prozent erstmals Fianna Fáil überholen. Die Grünen, Fianna Fáils kleiner Koalitionspartner, dümpeln bei 3 Prozent. Lediglich 5 Prozent der Grünen-Wähler sind zufrieden mit der Regierungspolitik. Premierminister Brian Cowen hat das Vertrauen der Wähler in seine Kompetenz längst vollständig verspielt. Sie sagen über ihn: "Wenn er Enten besäße, würden sie ertrinken."

Und dann ist da noch Declan Ganley, der mit seiner Partei Libertas bei den Europawahlen antritt. Der Multimillionär mit dubiosen Verbindungen zur US-amerikanischen Rüstungsindustrie und zu US-Militärs ist im vorigen Jahr europaweit bekannt geworden, weil er mit einer massiven Plakat- und Medienkampagne gegen den EU-Vertrag von Lissabon Stimmung gemacht hat. Im Oktober müssen die Iren erneut darüber abstimmen. Dann wird es klappen, glaubt der Chef der Europa-Grünen, Daniel Cohn-Bendit. Der einzige Weg, wie Irland aus dem Schlamassel kommen könne, sei der Schutz Europas, sagte er: "Deshalb werden die Iren Ja sagen, denn es ist in ihrem nationalen Interesse."

Sicher ist das keineswegs, aber auf alle Fälle wird die Beteiligung an der Europawahl höher sein als in anderen Ländern. Beim letzten Mal lag sie bei 60 Prozent. Diesmal wollen 45 Prozent der Iren zur Wahl gehen. Im europäischen Durchschnitt sagen das lediglich 34 Prozent.

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2 Kommentare

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  • D
    drosselbart

    Welch seltsame Zufälle es doch gibt. Da scheint es ein paar Individuen zu geben, denen SEHR viel daran gelegen ist den Lissabonvertrag durchzuprügeln und dann kommt es zu einer Wirtschaftskrise. Eine Krise in der ausgerechnet das Land am häresten getroffen wird, in dem das Volk klar und deutlich mit 'NEIN' gestimmt hat. Für mich hört sich das eher wie ein Vergeltungsschlag, eine Bestrafung oder eine Züchtigung?

    Mich würde einmal interessieren, was wäe eigentlich, wenn es in allen demokratischen Ländern der Erde wirklich demokratisch zugehen würde? Wenn also das Volk so grundwichtige Entscheidungen wie den Lissabonvertrag mitbestimmen könnten?

    Es gibt offensichtlich einen sehr guten Grund, weswegen man das Volk in anderen Ländern NICHT mit hat abstimmen lassen.

  • R
    runzbart

    Na da ist Herr Cohn-Bendit aber blauäugig, vertraut darauf, dass die Iren wie gemeines Wahlvieh alles abnicken, wo Europa draufsteht. Ist ja in ihrem Interesse, müssen sie nur noch selbst rausfinden.

    Sowieso doof, dass sie das nicht schon beim ersten Wahlgang gecheckt haben