: Etwas selbstgefälliges Storchengeklapper
■ Hans Jaeckels Roman „Ibo“ ist ein pseudo-poetischer Erguß aus der Feder eines eitlen, teetrinkenden Ostfriesen
Es gibt Prosa-Debüts, die fangen mit schwerblütigen Naturbeschreibungen an oder mit Sätzen wie „Morgens um 11 Uhr weckte mich mein Verleger.“ Nicht gut. Aber wie wäre es denn mit: „Es ist fünf Jahre her, da zog ich einige Straßen weiter in die Schäfergasse.“ Toll, der Hamburger Leser freut sich, findet er sich doch sofort im Schanzenviertel wieder. „Wie ein zurückgekehrter Storch auf seinem Horst fühlte ich mich, klapperte zufrieden vor mich her – ich bin, ich bin, ich bin.“ Schön, Hans Jaeckel, der Autor des Romans Ibo ist ganz bei sich. Jemandem der so in sich ruht, dem kann der Leser ruhig vertrauen, wenn er ihm eine Geschichte über einen anderen auftischt.
„Was schreibst du denn?“ – „Eine Geschichte.“ – „Über Pferde?“ – „Nein.“ Der da so dumm fragt, ist ein Junge aus der Nachbarschaft. Er hat das Sonnenscheinchen unter den Nachwuchsautoren auserkoren, seine Lebensgeschichte zu Papier zu bringen. Der fühlt sich bei dessen tranceähnlich vorgetragener Beichte „kalt erwischt..., als hörte ich ein uraltes Herz sprechen.“ So, dieses Jungenschicksal wird jetzt also statt der Ich-bin-Geschichte aufgeschrieben.
Der Türke Ibrahim Acikbas kam mit vier Jahren nach Deutschland. Gemeinsam mit seinem Vater und dessen „Verlobter“ wohnt er in einer „Saga-Bruchbude“. Statt zur Schule zu gehen, macht er jede Menge „Scheiß“, was er uns im Folgenden als Ich-Erzähler miterleben läßt.
Ohne die triefende Einführung seines Alter ego könnte das Buch als Initiationsgeschichte in Jugendsprache durchgehen. Man möchte ihm seine wacklig poetischen Ergüsse verzeihen. Aber angesichts der Tatsache, daß dieser selbstgefällige, teetrinkende Ostfriese sich der ganzen Sache angenommen hat, schleichen sich immer wieder Zweifel ein, ob die gefühlvollen Seiten des pubertierenden Chaoten nicht nur von ihm gedeutelt wurden. „Ich ahnte einen anderen Ibo, verdeckt hinter dem rauhen, erlebte den verdeckten.“
Entweder der Leser denkt nach diesem Buch bei jedem aggressiven türkischen Kleinkriminellen, daß der es ja sicher auch nicht leicht hatte. Schwere Kindheit, Identifikationsprobleme, Ausländerfeindlichkeit... Oder er schlägt es nach den ersten Seiten wieder zu, genervt von der unrunden Darstellung, den sich wiederholenden Bildern, der Selbstbeweihräucherung des Autors. Oder schlichtes Desinteresse läßt einen das Lesen beenden. Ilka Fröse Unionsverlag: Zürich, 1996, 170 Seiten
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