Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Schon immer hat es das Theater als seine Aufgabe begriffen, die Abgründe der Menschen zu vermessen und den Horror mit Hilfe dieser Analyse irgendwie gestaltbar zu machen. Eine Altmeisterin im Gestalten von Beziehungen zwischen den Menschen auf der Bühne ist die Regisseurin Andrea Breth. Als sie als junge Frau in den 1980er Jahren zu inszenieren begann, war der Regieberuf noch eine Männerdomäne. Sie setzte sich durch, wurde Intendantin der Berliner Schaubühne und spielt längst in einer Liga mit den Großen des Fachs.
Nun inszeniert Breth, die viele Jahre lang am Wiener Burgtheater gearbeitet hat, nach langer Abwesenheit wieder in Berlin. Und zwar am Berliner Ensemble, wo sie mit „Drei Mal Leben“ von Yasmina Reza eine bürgerliche Seelenabgrundsvermessung als Vexierbild gesellschaftlicher Rollenkonflikte auf die Bühne bringt (Berliner Ensemble: „Drei Mal Leben“, Premiere: 16. 1., 19.30 Uhr).
Einen Abgrund vermisst auch das Stück „4.48 Psychose“ von Sarah Kane, die sich 1999 im Alter von 28 Jahren das Leben nahm. Das letzte Stück dieser radikalen Dramatikerin verhandelt die Krankheit, an der sie schließlich zugrunde ging. Das Manuskript hatte sie noch kurz vor ihrem Suizid an ihren Verleger übergeben. Im Deutschen Theater gibt Ulrich Rasche nun mit seiner Lesart dieses „dissoziativen Poems“ über einen depressiven Schub, das auf Grund seiner formalen Virtuosität als Höhepunkt des Werks von Sarah Kanes gilt, sein Debüt in der Schumannstraße.
Rasche hat für seine Erkundung des Grenzbereichs der Psyche gleich eine ganze Riege von virtuosen Nervenspielerinnen verpflichtet, darunter Linda Pöppel, Katja Bürkle und Kathleen Morgeneyer (Deutsches Theater: „4.48 Psychose“, Premiere, 17. 1., 19.30 Uhr).
Das menschliche Bewusstsein und seine Strukturen interessiert auch die Regisseurin Susanne Kennedy, die in ihren Arbeiten immer wieder nach Möglichkeiten sucht, dieses Bewusstsein abzubilden. Oft sehen ihre Inszenierungen dabei wie virtuelle Welten aus, wie wir sie aus Computerspielen kennen. Sodass es scheint, das Bewusstsein sei selbst ein virtuelles Konstrukt. Nach ihrem in Zusammenarbeit mit dem Künstler Markus Selg 2019 an der Volksbühne entstandenen Abend „Coming Society“ hat die 1977 geborene Kennedy mit Selg nun die innere Simulation „Ultraworld“ erschaffen, die am Rosa-Luxemburg-Platz ab 16. 1. begeh- und erlebbar sein und die Bewusstwerdung des Menschen von der Geburt an als Transformation und Heldenreise beschreiben wird (Volksbühne: „Ultraworld“, Premiere 16. 1., 19.30 Uhr).
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