Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Die traurige Geschichte der Kinder des Ödipus und der Iokaste ist kompliziert und seit Jahrtausenden satter Stoff für Tragödien. Es ist schließlich auch kein Spaß, wenn die eigene Mutter gleichzeitig die eigene Großmutter ist und der Vater in Personalunion auch ein Bruder. Denn das ist die Geschichte: Ödipus, als Baby ausgesetzt und fern seiner leiblichen Eltern aufgewachsen, heiratet Iokaste, ohne zu wissen, dass es seine Mutter ist. Als er es erfährt, ist es naturgemäß zu spät – vier Kinder gibt es bereits aus dieser Beziehung. Die Brüder Polyneikes und Eteokles, Ismene und ihre berühmte Schwester Antigone. Und wo einmal etwas falsch begonnen hat, geht es falsch auch immer weiter. Das ist ja oft das Wesen von Tragödien, dass die Triebkräfte, die das Verfehlte entwickelt, nicht mehr kontrollierbar sind. Im Kampf um die Macht töten sich die Brüder Polyneikes und Eteokles gegenseitig. Weil er als Verräter gilt, darf der eine Bruder nicht begraben werden. Die Schwester Antigone will es aber trotzdem tun, auch wenn die Todesstrafe darauf steht: Für sie steht das Gewissen über dem Staatsgesetz. Ihre Schwester Ismene will sie unterstützen, aber Antigone will ihre Hilfe nicht. So läuft der Geschwisterclinch weiter auf seinen fatalen Bahnen. Diese Story einmal auf ihren Alltagsgehalt zu überprüfen, sie also vom Sockel ins Gegenwärtige zu holen, das haben sich die jungen Theatermacher*innen um die Regisseurin Fabiola Kuonen (geboren 1995), die Dramaturgin Sofie Neu (geboren 1992) und sechs Schauspieler*innen vorgenommen und unter der Überschrift „Anti Anti (Gone)“ ein postdramatisches Sommertheater zum Thema Geschwister konzipiert, das ab dem 17. August am Holzmarkt 25 Open Air und bei freiem Eintritt zu sehen sein wird (Holzmarkt 25: „Anti Anti (Gone)“, 17., 18., + 19. August, jeweils 21 Uhr, Eintritt frei).
Eine Familiengeschichte ist in gewisser Weise auch der Abend der in Zimbabwe geborenen und in New York arbeitenden Tänzerin und Choreografin Nora Chipaumire, „portrait of myself as my father“, der am 16. und 17. August beim Festival Tanz im August zu sehen sein wird. Anhand der Figur ihres Vaters begibt sich Chipaumire mit einem Performance-Mix aus Tanz, Popkultur, Akrobatik und Diskurs, auf die Suche nach Antworten auf die Frage, was Schwarze Männlichkeit ausmacht. Dabei sollen rassistische Stereotype und Gewalterfahrungen ebenso lautstark in den Ring geworfen werden wie Vorbilder und Utopien (Sophiensäle/Tanz im August: „portrait of myself as my father“, 16. & 17. 8., jeweils 19 Uhr). Im Anschluss an die Vorstellung am 16. 8. gibt’s auch einen Artist’s Talk mit der Künstlerin.
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