Esther Slevogt betrachtet das Treibenauf Berlins Bühnen:
Vielleicht war der erste Avatar der Literaturgeschichte der berühmte Dorian Gray, genauer gesagt sein Bildnis, dessen Erfinder kein Geringerer als Oscar Wilde gewesen ist. Der nämlich schrieb die Geschichte vom englischen Dandy, der ein Porträt von sich besaß, das an seiner Stelle alterte. Nur sein gemaltes Gesicht wurde also älter, und immer stärker gezeichnet von Dorian Grays zunehmend maßlosem und grausamem Leben. Er selbst blieb von überirdischer Schönheit, die natürlich reine Äußerlichkeit war. Es ist eine dieser Geschichten, in denen am Ende des 19. Jahrhunderts das zunehmende Unbehagen an der Technisierung ihren Ausdruck fand, die plötzlich Dinge möglich machte, die die Zeitgenossen damals mit ihren Erfahrungen nicht mehr in Einklang bringen konnten. Zugleich ist die Geschichte vom Bildnis des Dorian Gray bis heute auch ein gutes Gleichnis von der Macht der Bilder über die Wirklichkeit. An diesem Punkt setzt der neue Abend des Künstlerkollektivs Gob Squad an, der unter der Überschrift „Creation (Pictures for Dorian)“ am 2. Mai im HAU herauskommt. Verhandelt wird darüber hinaus auch die Frage, was wir Zuschauer eigentlich sehen, wenn wir in den Spiegel der Kunst blicken. (HAU 2. „Creation (Pictures for Dorian)“, Premiere 2. 5., 20 Uhr).
Was sieht eigentlich Donald Trump, wenn er in den Spiegel schaut? Miss Piggy von der Muppet Show? Wie kommt es überhaupt, dass wir dachten, Vorzeitmachos wie Trump, Putin und all diese Typen, die jetzt überall wieder regieren, seien Auslaufmodelle? Wie konnten wir uns so irren? Fragen über Fragen, die sich auch die Dramatikerin Elfriede Jelinek in ihrem Stück „Am Königsweg“ stellt, das am Deutschen Theater Stephan Kimmig inszeniert. (Deutsches Theater: „Am Königsweg“, Premiere 28. 4., 19.30 Uhr).
Ja, und dann fängt bald auch schon das Theatertreffen an. Eröffnet wird mit Frank Castorfs „Faust“-Inszenierung, seiner letzten Arbeit als Intendant der Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz. Aufgrund der kulturpolitischen Verwerfungen darf die Arbeit nicht mehr dort gezeigt werden. Da fügt es sich gut, sozusagen wie der Faust aufs Auge, dass das Haus der Berliner Festspiele, wo Castorfs Faust nun während des Theatertreffens zu sehen sein wird, kurz nach dem Bau der Berliner Mauer einst als Freie Volksbühne errichtet wurde. Der Rosa-Luxemburg-Platz und die Volksbühne lagen ja, wie wir wissen, im damals für Westberliner Zuschauer vorläufig unerreichbaren Ostteil der Stadt. Ironie der Geschichte nennt man so eine Koinzidenz vielleicht auch. (Haus der Berliner Festspiele: „Faust“, Voraufführung 1. 5., 18 Uhr).
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