Esther Slevogt betrachtet das Treiben auf Berlins Bühnen:
Wer sind wir eigentlich, wir Deutschen? Wie sehen wir aus? Was ist, was sind unsere Geschichte(n). So einfach, wie manch eine(r) gern hätte, sind diese Fragen nicht mehr zu beantworten. Oder doch? Kürzlich hat an den Münchner Kammerspielen zum Beispiel die junge Regisseurin Anta Helena Recke eine 1:1-Kopie von Anna-Sophie Mahlers Bühnenadaption des düsteren Heimatromans von Josef Bierbichler „Mittelreich“ auf die Bühne gebracht. Der Roman erzählt die Geschichte einer bayerischen Gastwirts-Dynastie durch drei Generationen – vom Ersten Weltkrieg bis heute. Schwarzkopie hatte Recke ihr Verfahren genannt, die Inszenierung minutiös mit Schwarzen Schauspieler*innen und Musiker*innen zu kopieren und damit indirekt die trickreiche Frage zu stellen: Finde den Unterschied!
„Es gibt keinen“ wäre die richtige Antwort gewesen. Bloß kam keiner in den weiß konnotierten Kategorien von Sehen und Bewerten darauf, wo die weiße Hautfarbe als nicht hinterfragbare Norm gilt. Der blinde Fleck, könnte man auch sagen. So ging die ganze weiße Theaterkritik in die Falle. Sie arbeitete sich mal mehr und mal weniger peinlich an der Hautfarbe der Mitwirkenden ab, die im Grunde nur eine rassistische Kategorie ist, keine ästhetische. Vielleicht hat in der Debatte zumindest die eine oder der andere am Ende etwas dazugelernt.
Zu den Bühnen dieser Stadt, die schon lange Fragen wie diese verhandeln, gehört das Ballhaus Naunynstraße. Dort fand mit „Black Lux“ 2013 das erste Heimatfestival aus Schwarzer Perspektiven statt. Jetzt gibt es das Festival „Republic Repair“, das sich wiederum die Erweiterung des Blicks auf die Fahnen schrieb. Es geht um Sichtbarmachung Schwarzer deutscher Geschichte(n). Im Zentrum steht die Inszenierung des Berliner Regisseurs Atif Mohammed Nor Hussein „Walking Large“, die auf der Basis des Debütstücks des Schauspielers Toks Körner entstand und u. a. zwei sehr unterschiedlich verlaufenen Lebenslinien eines deutschen Brüderpaars nachgeht (Ballhaus Naunynstraße: „Walking Large“, 23. – 25.1 1., 20 Uhr / 26. 11., 19 Uhr).
„Das Einzige, was Schwarze Schauspieler*innen von allen anderen unterscheidet, ist: die Gelegenheit! Und wer muss die Gelegenheit schaffen? Wir selbst!“, sagen die Mitglieder des Berliner Theaterensembles und Netzwerks „Label Noir“, das im Kontext „Public Repair“ im Ballhaus Naunynstraße zu einem Abend mit szenischen Lesungen einlädt, die Stoffe und Perspektiven afro-deutscher Autor*innen zum Gegenstand haben (Die Gelegenheit Vol. 1.“, 28. 11. 20 Uhr).
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