: Essigsaure Seen in der Niederlausitz
Limnologen wollen mit Algendünger die übersäuerten Tagebauseen sanieren ■ Von Uwe Springfeld
Man kann es als Humor oder als Zynismus nehmen, wenn der Direktor des Berliner Instituts für Gewässerökologie und Binnenschifferei, Christian Steinberg, über die toten Tagebauseen im Braunkohlegebiet Niederlausitz sagt: „Vom wissenschaftlichen Standpunkt aus betrachtet liegen die interessantesten Gewässer in den neuen Bundesländern.“ Doch das Interesse entspringt nicht papiernen Wissenschaften aus dem Elfenbeinturm. Es handelt sich um praktisches wissenschaftliches Engagement. Jedes Gewässer ist ein kompliziertes System, in dem ökologische, chemische und physikalische Komponenten ineinandergreifen. Entsprechend beschreiben die klassischen Fachdisziplinen die Binnengewässer zwar zutreffend, aber sie skizzieren nie ein Gesamtbild. Das versucht erst eine relativ junge Wissenschaftsdisziplin. Sie befaßt sich mit der Erforschung von Binnengewässern wie Flüssen, Seen, Talsperren.
Vor wenigen Wochen trafen sich in Berlin über 700 Limnologen zu der Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Limnologie. Auf der Tagesordnung standen Probleme der Nährstoffbelastung von Gewässern, deren Güteklassifikation und verschiedene Sanierungskonzepte und ganz speziell die Tagebauseen der Niederlausitz. Und damit man nicht nur unter sich blieb, lud man Limnologen aus Estland und Litauen, aus Mazedonien, Polen, Rußland und Tschechien hinzu. Doch es schien, als würde den osteuropäischen Limnologen auf der Tagung ein mehr dekorativer Charakter zugeschrieben. Gerade einen Vormittag reservierte man für das unter Wissenschaftlern umgangssprachliche Englisch. Selber bekamen sie kaum Gelegenheit, ihre Projekte vorzustellen. Und vermittelt durch ihre deutschen Kollegen blieben die Beschreibungen osteuropäischer Forschungsprojekte meist oberflächlich. Hervorgehoben wurden statt dessen so allgemeine Prozesse wie der, daß man auf Tagungen ins Gespräch kommen und wissenschaftliches Know-how austauschen könne. Wobei immer wieder betont wurde, was die osteuropäischen Limnologen aus dem Westen alles lernen können.
Während man in Westeuropa hauptsächlich versucht, die Schäden an den Gewässern zu beschreiben, gibt es zumindest ein osteuropäisches Projekt, das sich an einer Modellierung naturnaher Prozesse versucht. Durch natürliche Einflüsse wechselt im Laufe eines Jahres am Vörtsjärv, dem zweitgrößten See Estlands, die Wasserhöhe um mehr als 50 Prozent. Das Wasservolumen ändert sich dabei bis zum Dreifachen des Minimums. Der Limnologe Peeter Nöges aus Tartu untersuchte, wie sich die Menge an Plankton im See veränderte. Unabhängig vom aktuellen Wasserstand liegt die Sichttiefe des Sees bei einem Meter. Tiefer dringt das für das Plankton notwendige Sonnenlicht nicht ins Wasser. Deshalb ging Nöges von einer gleichbleibenden Menge an Plankton aus – und mußte sich eines Besseren belehren lassen. Das Planktonvorkommen scheint nur zum Teil vom Sonnenlicht abzuhängen. Ein anderer Einflußfaktor ist tatsächlich das Wasservolumen.
Geographisch blieb die Tagung der Berliner Region verbunden. Fragte, warum die Schilfbestände zurückgehen und was man gegen die sauren Tagebauseen machen kann. „Wir wissen, daß irgendwelche Lehrbuchmeinungen, die beispielsweise für Trinkwassertalsperren, Alpenvorland- oder Badeseen gelten, dort nicht hundertprozentig greifen werden“, meinte Steinberg.
Wie das Problem entsteht, ist schon lange bekannt: Durch den Tagebau gelangt Luft an geologische Schichten mit mineralisertem Schwefel. Der reagiert unter Mitwirkung von Mikroorganismen mit Luftsauerstoff, und das Produkt wird von Sickerwasser als Schwefel ausgewaschen. Die Folge: Manche Seen sind noch saurer als handelsüblicher Essig.
Mit dem Einsatz von Kalk gegen schwefelsaures Wasser empfiehlt das Lehrbuch, die Symptome zu kurieren. Kalk geht aber nicht die Ursache an, den erneuten Säureeintrag. Bei den sauren Bergbauseen soll ausgerechnet der Algendünger Phosphat eingesetzt werden – derselbe Stoff, der für Algenblüte und Überdüngung so vieler Seen verantwortlich zeichnet.
„Durch die Produktion von Algen wird dem Wasser einmal die Säure entzogen“, meint Christian Steinberg. „Und zum anderen bieten die abgestorbenen Algen einen wirksamen Schutz gegen einen erneuten Säureeintrag.“ Bleibt zu bedenken, daß auch ein lebensferner schwefelsaurer See ein System darstellt, in dem verschiedene Chemikalien als Einzelkomponenten ineinandergreifen. Eine Phosphoreingabe muß da wohlbedacht sein, sonst treibt man wie so oft den Teufel mit dem Beelzebub aus.
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