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Essen in den SechzigernDie Zukunft schmeckt sonnig

So waren die Sechziger: Fertiggerichte und Schnellrestaurants verändern die Essgewohnheiten, Studenten protestieren und der Toast Hawaii erobert die Küchen.

Seit einem halben Jahrhundert der Schrecken der deutschen Partyküche - Toast Hawaii. Bild: Imago/McPhoto

Die Sechziger: Achtundsechzig, Aufbruch, Revolte. Befreiung auch am Herd: Wenn es ein Symbol für die deutschen Essgewohnheiten in den Sechzigern gibt, dann ist es Toast Hawaii. Systemwechsel und Bruch mit der Tradition.

Obwohl in den Fünfzigern erfunden und auch in den Siebzigern noch beliebt, steht er für eine neue Ära der sechziger Jahre: Abschied von der Schwere deutscher Hausmannskost, den braunen und grauweißen Soßen hin zu leuchtenden, fröhlichen Farben, zu goldgelb geschmolzenem Käse, krossem Toast, roten Cocktailkirschen, gelber Ananas, der Wärme und Süße der weiten Welt.

Mit Toast Hawaii beginnt auch der Abschied vom Kochen mit stundenlangem Schnippeln. Es genügt ein Dosenöffner und der Backofen. Die Zubereitung ist schnell und kinderleicht, dazu muss man nicht mehr kochen können. Ich habe den Toast Hawaii erst in den siebziger Jahren kennengelernt.

Rezept Toast Hawaii

Zutaten:

– ein Toast

– eine Scheibe Kochschinken

– ein Ananasring aus der Dose, abgetropft

– Scheibletten oder Chester-Schnittkäse

– Cocktailkirschen aus dem Glas zum Dekorieren, abgetropft

Zubereitung:

Am besten gelingt der Toast im Backofen. Der Toast wird beidseitig nur ein bisschen geröstet. Dann mit Schinken, Ananas und Käse belegen. Auf der untersten Einschubleiste des Backofens den Toast langsam garen, Grillfunktion zuschalten. Am besten gelingt der Toast, wenn er langsam gegart wird, damit Schinken und Ananas warm werden. Wenn der Käse knusprig ist, herausnehmen, mit einer Cocktailkirsche dekorieren und servieren.

Varianten:

Scheibletten schmecken grausam, aber original. Bergkäsescheiben haben mehr Geschmack. Frische Ananas schmeckt besser als der süße Kompottgeschmack der Dosenananas. Helles Bio-Kastenbrot ist natürlich wertiger als Industrietoastbrot. Scharfe Chilisaucen passen besser zur Süße der Ananas als Ketchup. Wenn man statt Ananas abgetropften Pfirsich nimmt, heißt es "Karlsbader Schnitte". Herzhaft wird es, wenn statt Kochschinken Salami und statt Ananas frische Tomate genommen wird - das ist zwar kein Hawaii mehr, schmeckt aber.

Kein Silvester ohne Karpfen

Meine Großmutter, Jahrgang 1902, hatte bei jedem Familienfest bestimmt, was gekocht und aufgetischt wurde. "Toast Hawaii ist kein Essen", sagte sie immer. Ihre Welt war die alte bürgerliche Kost: gekochte Pökelzunge, Spargel mit dicker Béchamel, Königsberger Klopse, Blutwurst, Salzkartoffeln, Eintöpfe mit Rippen und Reis, Sauerbraten mit Klößen, und freitags immer Fisch, Hering in Remouladensoße.

Kein Silvester ohne Karpfen blau, der zuvor einen Tag lang in der Badewanne schwamm. "Frisch geschlachtet schmeckt er am besten", sagte die Großmutter, um ihn dann zu töten, zu zerteilen und im Essigsud mit klein geschnittenem Wurzelgemüse weich zu kochen. Diese Grausamkeit rief in mir Ekel hervor; ich kann bis heute keinen Karpfen essen.

Der Abschied vom Gestern

Das erste Silvester ohne meine Großmutter war eine Rebellion. Meine Mutter sagte entschieden zu uns: "Es gibt Toast Hawaii!" Das war der Abschied vom Gestern, von Karpfen, Meuchelmord, Fischbesteck und Tischgebet. Toast Hawaii war ein Versprechen: die Zukunft, die süß, sonnig und freundlich war. Künftig wurde bei uns zu Hause alles getoastet, mit Käsescheiben, Formschinken oder Salamischeiben überbacken.

Bild: taz

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Dazu gab es Ketchup oder selbst gekochtes scharfes Chutney. Die Früchte wurden oft variiert- statt Dosenananas, auch Pfirsiche und Birnen aus Konserven verwendet, und im Sommer frische Tomaten, was ich heute noch für die beste Variante halte. Die schweren Sonntagsbraten verschwanden und mit ihnen verblasste die Erinnerung an die Großmutter, was mich damals erleichterte. So freundlich wie Toast Hawaii stellte ich mir als Kind die Zukunft vor.

Säuerliche Nudelgarnitur

In den Sechzigern beginnt auch der Aufstieg der Nudel mit Tomatensoße. Nudeln zu kochen, musste man im Land der Kartoffeln und Knödel erst lernen. Von Italien. Die neue Kompetenz in Sachen Nudel wird erst später als Pasta mit Olivenöl und Parmesan ihren Siegeszug halten.

In den Sechzigern spricht man noch von Teig- und Eiernudeln. Dazu gibt es Kochschinken- und Jagdwurstwürfel oder auch Gulasch. Parmesan war der deutschen Hausfrau noch zu fremd und teuer. Es war denn auch geriebener blassgelber deutscher Schnittkäse, der säuerlich schmeckte und über die Nudeln gehäuft wurde. Frische Tomaten gab es damals noch nicht das ganze Jahr. So kochte man die Tomatensoße mit Tomatenmark, Wasser, Brühwürfel und Mehl.

Zugleich dringen industrielle Fertig- und Halbfertiggerichte massiv in den Alltag ein, die als zeitsparend und modern gelten. "Mirácoli", Spaghetti mit Tomatensoße, ist in den Sechzigern der Hit. Beliebt sind auch Aufläufe, die besonders gern in modernen Jenaer Glasformen zubereitet werden.

Jenaer Glas geht auf das Bauhaus zurück, wurde von Designern wie Wilhelm Wagenfeld dort in den 1930er Jahren entwickelt. Die reduzierte, ornamentlose Glasform passt zum Lebensgefühl der Sechziger. Der Auflauf lässt sich gut vorbereiten, aus einfachen Produkten wie Makkaroni, Kartoffeln und Gemüse herstellen und wird gern mit Käse überbacken.

Beratung für die Salatbar

Es ist auch das Jahrzehnt, in dem eine neue Branche an Einfluss gewinnt, die Ernährungsberater. Nach den Fleischorgien der Fünfziger greifen nun Tipps für gesündere, leichtere Ernährung um sich. Rohkostsalate sind etwas Neues, bisher wurde rohes Gemüse kaum verzehrt, es gab Salate aus gekochten, meist süßsauer mariniertem Gemüse wie Grüne Bohnen, Sellerie, Rote Beete oder Kürbis.

Die Deutschen gewöhnen sich an Kopfsalat und Krautsalat. Es gibt einen Bedarf an Rezepten für die neue Art, zu kochen, die zu einer Welle von Küchenratgebern und Kochbüchern führt. Bestseller dieser Zeit sind Kochbücher wie "Was Männern so gut schmeckt - Eine kulinarische Weltreise in 500 Rezepten" von Lilo Aureden, das 1962 erscheint. Die Reisewelle beginnt, der Balkanteller kommt.

In Holland und Belgien lernen die Deutschen frittierte Kartoffelstäbchen kennen. Die Industrie reagiert, bald gibt es backfertige, gefrorene, halbgare Kartoffelstäbchen und auch Friteusen und Grillgeräte für den Haushalt. Pommes verdrängen allmählich die tradierte typisch deutsche Sättigungsbeilage, Salzkartoffel, Mus und Knödel. Im Zeichen der Imbisskultur erobert die hochtechnisierte Foodindustrie allmählich alle Bereiche der alltäglichen Ernährung und verändert auch die Gastronomie.

Wohlstand an der Pommesbude

Es sind zunächst die Pommes-frites-Buden, die den Imbiss popularisieren. War es zuvor verpönt, auf der Straße zu essen, expandieren in den Sechzigern die Imbissbuden, die eine Erweiterung der klassischen Nachkriegskioske, der Trümmerbuden, sind. Die gestiegene Kaufkraft kommt den Imbissbuden zugute, die Ihr Sortiment nun erweitern. Man begnügt sich nicht mehr mit Brühwurst oder Reibekuchen. Beliebt wird auch gebratenes Geflügel.

Massentierhaltung und industrielle Fleischproduktion steigern den Fleischkonsum, machen ihn billig. Je mehr die Kaufkraft steigt, desto billiger werden Nahrungsmittel. Die Foodindustrie ist in den Sechzigern allgemein akzeptiert, hat ein kaum hinterfragtes, positives Image und wird sogar mit Modernität und Wachstum gleichgesetzt.

Neuartige Schnellrestaurants breiten sich aus, exemplarisch der "Wienerwald". Sie bereiten für die in den kommenden Jahrzehnten expandierenden Fastfoodketten den Boden, indem sie die Schnellgastronomie im bundesdeutschen Alltag einüben und etablieren. In den Sechzigern werden die tradierten Strukturen der örtlich und zeitlich festgelegten Mahlzeiten aufgebrochen. In der Küche wird weniger gekocht denn aufgewärmt, gemixt, aufgebacken und gegrillt. Kühlschränke werden zum Zentrum der Küche, verdrängen die Speisekammern.

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7 Kommentare

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  • Z
    Zonenrandgeförderter

    Also Till, wenn Du schon über die 60er Küche schwadronierst solltest Du vielleicht zwischen Deiner schlimmen Kindheit (Ost) und den Wunderland-Büchern der Lilo (West) unterscheiden.

    Klar, dass dem noch nicht einmal 5jährigen Till im Tal der Ahnungslosen der Blick in die westliche Küche verwehrt blieb.

    Aber Till, stell Dir vor, sogar meine Schwiegermutter (Ost) hat in den 50ern schon Salat gegessen!

    Und meine Mutter (West) kannte im selben Jahrzehnt schon Salat, Nudeln, Tomatensoße und frittierte Kartoffelgerichte wie Pommes, Kroketten, Chips und Strohkartoffeln.

    Sowas, wundert sich der HO-Verköstigte da, gab es vielleicht doch bessere Küche als die von Mama, Konsum und Kita?

  • O
    olaf

    Als mein Vater das erste Mal Grillhähnchen aus einer Hähnchenschmiede mitbrachte, kam das fast einer Revolution gleich!

     

    Heute ekel ich mich davor!

  • C
    chagall1985

    Ich blieb bei diesem Artikel an einem Kulturschwachsinn hängen.

    Irgendwie symbolisiert dieser den ganzen Wiederspruch des Artikels und entlarvt die Naivität der 60'er Küche.

    Da mokiert sich der Sohn über die Barberei der Großmutter einen Fisch zum Essen zu töten. Gleichzeitig betont er, das er diesen Fisch bis heute nicht essen kann.

    Im Gleichen Atemzug preißt er den Hawaitoast mit industriellem Formschinken.

    Getreu nach dem Motto das Fleisch kommt aus dem Supermarkt!

    Ich denke dieser Unsinn in der Empfinung ist das eigentliche Vermächtnis der 60'er Küche.

  • M
    Max

    Danke für diesen Artikel, der in mir einige Kindheitserinnerungen wach gerufen hat. Ich bin in den 90ern in Thüringen groß geworden und habe sowohl die Speisekammer meiner Großeltern, befüllt mit Selbstgeschlachtetem & Selbstgeflücktem, als auch Toast Hawai & Blechpizza (auch erwähnenswert) erlebt. Vielleicht konnten Hausfrauen dank solcher u.ä. einfach zubereiteter Gerichte bei Familienfeiern den Herd auch mal Richtung Wohnzimmer verlassen.. Bemerkenswerter Weise war ich als Kind kulinarisch konservativer als mein Umfeld; eine Kombination aus süß & pikant kam mir nicht in die Tüte bzw. Magen. Dann lieber Gulasch oder Ragout fîn nach Opa's Art. Als Vegetarier verzichte ich heute darauf, würde aber im Zweifelsfall den grausam geschlachteten Karpfen dem Formschinken aus der Packung vorziehen.

  • D
    Dirk

    ch ja, die Sechziger, müssen schön gewesen sein. Man wurde nicht belästigt vom pseudowissenschaftlichen Geschwätz von "Ernährungsexperten", die mit erhobenem Zeigefinger uns jede Woche erklären, was angeblich neuerdings ganz ungesund oder gesund sei. Kinder wurden noch nicht mit ernährungsphysiologisch nutzlosen Dingen wie Salatblättern gequält - O.K. dafür mit nicht ganz so sinnlosem Spinat. Man aß, was einem schmeckte mit gutem Gewissen und war zufrieden. Essen war noch nicht zu einer dualistischen Ersatzreligion mit all jenem Gut/Böse-Denken verkommen. Gut, die Ernährungshygiene war noch nicht so weit wie heute - hat aber keiner groß gemerkt, da die Medien nicht jeden Monat schrien: Hiiilfe, Keime auf einem Schnitzel entdeckt - müssen wir nun alle krepieren? In diesem Sinne: Schönes Wochenende, lasst euch den Appetit nicht verderben und lest mehr Udo Pollmer statt Ernährungsbibeln! :-)

  • J
    Jörg

    Nett geschrieben! :) Diese „Grausamkeit“ allerdings, die Sie beim Karpfen beschreiben, erleidet jedes Tier, dass Sie essen. Vielleicht ist es langsam an der Zeit, unser Konsumverhalten diesbezüglich zu ändern und einfach keine Tiere mehr zu essen, zumal das heutzutage weder notwendig, noch gesund ist.

  • H
    Horst

    Wieso ist es bei der taz eigentlich meist so, dass die Artikel einfach so abrupt aufhören?

    Das fällt mir schon seit Jahren auf; liegt das daran, dass diese Artikel in Printform länger sind und hier gekürzt wiedergegeben werden? Selbst wenn, ist es so schwer, wenigstens einen abschließenden Satz zu formulieren?

     

    Ich verstehs nicht, dass diese Unart niemanden von der Redaktion aufgefallen ist und dass es euch egal ist, wie holprig sich diese Artikel lesen, das mag ich nicht glauben.