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Es weihnachtet sehr

■ Alle Jahre wieder und auch in diesem Jahr besucht unser Kritiker mit seinen Kindern das Weihnachtsmärchen im Theater am Goetheplatz. Es heißt: „Der Zauberer von Oos“

Es braust und tost im weiten Rund. Hochgespannte Erwartungen entladen sich im Schrei, im Lachen und im Jubel. Nein, nicht das Weserstadion des wiedererstarkten SVW ist Ort der Handlung, man merkt das gleich, denn dort wird mindestens 1 Oktave tiefer gejubelt. Die machtvoll schrille Geräuschkulisse spielt sich im Theater am Goetheplatz ab. Weihnachten steht vor der Tür, Kindertheater im großen Haus ist angesagt.

Kindertheater signalisiert das Plakat am Säulenportal. Janos‘ sein lieblich netter Löwe verheißt einen entsprechenden Theatervormittag. Die Kinder lieben Janos, der Rezensent gruselt sich ein bißchen. Sein müder Blick streift den Bühnenvorhang und plötzlich ist er hellwach. Die Bühnenöffnung umrahmt einen Bilderreigen von Personen, Charaktären, Situationen, offenbar Szenen aus dem Stück im Stile naiv-realistischer Zirkus- und Kinoplakate, und im Zentrum aus dem Rahmen fallend eine mit leichter, Hand auf den Vorhang geworfenes luftig-lustige Komposition, mit dem Titel der Veranstaltung. Schriftzeichen, Figuren, Muster eine heitere Kollage, die einer Zusammenarbeit zwischen Klee, Kandinski und Stravinskij entsprungen sein könnte.

Sollte etwa meinen Kindern ernsthaftes, ambitioniertes Theater vorgesetzt werden, das sie fordert und ihren Spaß um sie größer macht? Auf geht der Vorhang - und das Staunen hält an. Im ironisch verkitschten Rahmen erscheint eine ausgedörrte, verblichene Welt. Ein Dorf in Kansas/USA (Käähnsös sagt zu meinem leichten Mißvergnügen die Heldin des Stückes, Dorothee, in überreifem Bühnenhochdeutsch). Dann fegt ein Tornado den grauen Realismus hinweg. Der Bilderrahmen strahlt in fahlem Neonlicht, Blitze zucken, Regenschauer peitschen und Stühle fliegen durch die Luft. Meine

Kinder gruselt es ein bißchen, der Rezensent freut sich über das wunderschöne und durchschaubare Theaterspektakel. Schön gruselig, meint mein Sohn und meine Tochter will das am liebsten noch ein paarmal sehen.

Und dann sind wir im Land des Zauberers von Oos, aus dem Dorothee fliehen will, nach Hause, nach Kansas. Doro findet Freunde, die ihr helfen. Eine Vogelscheuche mit Stroh im Kopf, ein vom Rost bedrohter Blechmann mit beeindruckender Axt, der trotz fehlenden Herzens zum Weinen neigt, ein ängstlicher Löwe und die heimatlose Dorothee suchen nach dem, was ihnen fehlt: Verstand, Herz, Mut und Heimat. Der Zauberer soll das alles herbeizaubern.

Gute und schrecklich böse Hexen greifen mit lautstarker Unterstützung und von heftigem Protest des begeisterten Publikums ins Geschehen ein. Ans Ziel kommen die Suchenden ohne Hilfe des Zauberers, der sich als kleinlauter Schwindler entpuppt. Wir können alles aus eigener Kraft, wenn wir nur wollen, so lautet die aufklärerisch -amerikanische Botschaft.

Der Eintritt ins Zauberreich ist gleichzeitig der Eintritt ins Kindertheater. Ein Rückfall, der mir Pein bereitet. Schon die Begleitmusik - irgendetwas von Händel o.ä. zeigt, daß jetzt der Bühnenalltag regiert. Die Ausstattung (Gabrielle Jaenecke) löst ihr Versprechen aus den ersten Bilder nur noch sporadisch ein. Lediglich die virtuose Beleuchtung schafft noch Atmosphäre, zuweilen am Rande des diesmal ungewollten Kitsches. Die Regie (Carlo Pichler) führt die Kumpanen Dorothees witzig und artifizell, doch bei Dorothee mit ihrem Stoffwauwau und bei der bösen Hexe hört seine gestalterische Phantasie auf. Was bleibt ist kindertümelndes Kasperletheater. Nur Sigi Schröder, der altbewährte Kindermime darf zu lei

sen, differenzierten Tönen greifen. Eine Labsal.

Meine Kinder, die mich beim Schreiben ständig aufgefordert haben, nur Gutes aufzuschreiben, wollen an dieser Stelle mitteilen, daß alle Eltern mit ihren Kindern zum Zauberer von Oos gehen sollen. Ich finde, das sollten sie auch tun. Vielleicht wäre meine Enttäuschung ausgeblieben, hätte es nicht so phantastisch angefangen.

Mario Nitsche

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