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Es klingt verdammt nach „Backlash“

■ betr.: „Zu spät und zu flach“, Kommentar von Mechthild Jan sen, taz vom 29.9.93

„Die Stunde der Frauen wird kommen“, also sprach Mechthild Jansen vor wenigen Tagen, nachdem sie den Aufruf der Fraueninitiative zur Wahl von Hildegard Hamm-Brücher zur Bundespräsidentin als „Schuß nach hinten“ abgekanzelt hatte. Offenbar hat sie die Zeichen der Zeit mißverstanden.

Die Kampagne ist nicht auf dem Mist der FDP gewachsen – im Gegenteil. Auch wenn die Partei jetzt die Früchte ernten möchte. Hildegard Hamm-Brücher wurde mit ihrer ausdrücklichen Zustimmung (apropos „verheizen“) von einer unabhängigen Initiative vorgeschlagen, von Frauen aus Politik, Wissenschaft, Kunst, Medien, darunter viele mit Namen und Erfahrung. Der Unmut darüber, daß in der Debatte um die Nachfolge Weizsäckers nicht der Name einer einzigen Politikerin je gefallen war, hatte schon lange geschwelt. Als Kohl dann aber auch noch Heitmann aufs Schild hob, mußte die Empörung sich Luft machen. Die Initiative ergriffen Frauen aus Frankfurt und Berlin, und fast überall, wo sie um Unterstützung warben, stießen sie auf Zustimmung, Begeisterung. Denn Hildegard Hamm-Brücher ist die Alternative zu den gehandelten Figuren. Sie steht für Integrität und politischen Konsens. Das müßten auch die Politikerinnen von CDU, SPD und FDP begreifen – all die Fans über- oder interparteilicher Fraueninitiativen. Es darf doch nicht wahr sein, daß die Treue zu Rau oder zu Kohl und seinem Kandidaten gar, die ewige Treue zur Partei auch in diesem Fall wieder einmal den Sieg davonträgt.

Aus den Mißerfolgen der letzten Jahre wächst langsam die Erkenntnis, daß eine Politik für Frauen und gegen Diskriminierung nur jenseits von parteipolitischem Kleingeist und feministischer Prinzipienreiterei Zukunft hat. Diese Kampagne ist ein Schritt. Eine demokratische Frauenöffentlichkeit protestiert gegen parteipolitische Hahnenkämpfe, die das Ansehen dieses Landes noch mehr ramponieren, dagegen, daß rechte, frauenfeindliche Gesinnung zum höchstoffiziellen Aushängeschild wird. Und sie fordert Geschlechterdemokratie. Sie hat eine Alternative auf den Weg gebracht, und die große Resonanz darauf zeigt, daß die Richtung stimmt.

Dafür ist es nicht „zu spät“. Hingegen ist es anachronistisch und nachgerade lächerlich, Frauen voller Pathos aufzufordern, sich nicht in den „Schlamm“ der Politik ziehen zu lassen, in dem die „patriarchale“ politische Klasse allein ersticken soll. Und es klingt übrigens verdammt nach „Backlash“, nach dem Gegenschlag gegen Feminismus und Frauenpolitik, wie ihn die US-Amerikanerin Susan Faludi in ihrem Land in den Achtzigern diagnostiziert hat. Auch wir bekommen ihn hier inzwischen immer deutlicher zu spüren. Auch dann, wenn eine in bester Absicht anderen Frauen politische Reinhaltung predigt – so lange, bis uns die Stunde endlich schlägt. Ulrike Helwerth,

freie Journalistin, Unterstützerin der Kampagne für Hildegard Hamm-Brücher, Berlin

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