: „Es ist wie ein Verhör hier!“
■ Vergangenen Mittwoch im Schulausschuß: Parlamentarier untersuchen Gesinnung des 2.Vorsitzenden des Islamkollegs, Ahmet Algan / Kolleg hatte Zulassung einer islamischen Grundschule beantragt / Algan: „Soll ich auch erzählen, welche Zeitungen ich abonniere?“
Prof. Dr. Fritz Steppat (Wissenschaftler am Institut für Islamwissenschaften und geladener Sachverständiger): Ich bin von den Erklärungen des Vorsitzenden des Islamkollegs beeindruckt. Er wendet sich gegen die Bindung seiner Religion an einen Staat, wie sie in den islamischen Ländern vielfach gefordert und bisweilen auch praktiziert wird. Er strebt neue Formen eines islamischen Lebens an, die in einem multikulturellen Europa Platz finden können. Er bekennt sich zum Grundgesetz und akzeptiert das deutsche Rechtssystem. Umgekehrt fordert er diejenigen Muslime, die das deutsche Rechtssystem nicht akzeptieren und keinen europäischen Islam wollen zum Verlassen Europas auf. (...) Wenn der Islam nicht prinzipiell von der Religionsfreiheit ausgeschlossen werden soll, die unser Grundgesetz verspricht, dann vermag ich unter den geschilderten Umständen keine guten Argumente zu entdecken, dem Projekt des Islamkollegs Genehmigung und Unterstützung zu verweigern.
Ich bitte um weitere Fragen.
Dieter Telge (AL): Mich würde interessieren, wie das Islamkolleg künftig mit der Stellung der Frau in der Gesellschaft und dem Umgang mit der Sexualität verfährt. Die Träger haben ja ganz deutliche Aussagen gemacht, daß sie Homosexualität für einen unnatürlichen Lebenswandel halten. Sind die Koranaussagen - die auf außereheliche Sexualität die Todesstrafe vorsieht - auch für Leute, die sich hier in Berlin dem Islam zugehörig sehen, gültig?
Steppat: (...) Das ist doch alles gar kein so großer Unterschied zu anderen Religionen, zum Beispiel des Christentums. (...) Wir haben doch da auch viele Meinungen, denken Sie an die Frage des Schwangerschaftsabbruchs, der Todesstrafe usw. (...) es ist doch nicht von vornherein unanständig, wenn jemand einen anderen Standpunkt einnimmt, als man selbst erreicht hat.
Sander (SPD): (...) Gibt es im Islam eine Bereitschaft, die Religion im geschichtlichen Wandel zu begreifen? Oder gibt es eher Tendenzen zum Dogmatismus, zur Beibehaltung einer festen Lehre ohne Berücksichtigung des geschichtlichen Wandels? Gibt es einen wachsenden Fundamentalismus? (...)
Steppat: (...) seit mehr als einem Jahrzehnt stehen wir unter dem Eindurck der Nachrichten des islamischen Fundamentalismus, (...) das liegt auch an dem Wesen unserer Medien. (...) es gibt einen Pendelschlag in diese Richtung, durch Enttäuschungen in der Vergangenheit mit Nationalismus, Liberalismus, Sozialismus (...) kann man lange darüber diskutieren. (...) ich liebe den Begriff des Fundamentalismus nicht sehr, man sollte auch da unterscheiden.
(...) für viele Muslime in der Diaspora ist Religion ein ganz wichtiger Teil der Identität, des Bewußtseins von sich selbst (...) jeder Mensch braucht Rückhalt im Eigenen (...) es gibt auch sehr starke und von klar denkenden Menschen vertretene Tendenzen, die einen islamischen Modernismus verfolgen, also eine Anpassung an die modernen Verhältnisse (...) es gibt beides.
Telge: Wie stellt sich die Frage der legalen und illegalen Sexualität im Koran dar? Die Frage der Auspeitschung, achtzig Hiebe, bzw. die Steinigung, die dann möglich folgt? Inwieweit ist das zwingend? Ist Ihnen bekannt, welche Auswirkung achtig Peitschenhiebe haben?
Steppat: (...) ich kann nicht sehen inwieweit das im Islamkolleg von praktischer Bedeutung sein kann.
Telge: Für die Sexualerziehung zum Beispiel.
Steppat: Ja, aber, das ist doch auch Standpunkt eines großen Teils der christlichen Familien, daß sie Geschlechtsverkehr außerhalb der Ehe nicht akzeptieren (...) die Todesstrafe durch Steinigung für Ehebrecher steht nicht im Koran, der Islam hat sie aus dem Alten Testament übernommen, da steht ganz deutlich drin, daß Ehebrecher und Ehebrecherinnen zu töten sind. (...) im Koran stehen die Peitschenhiebe (...) ich habe jahrelang in Ägypten und im Libanon gelebt, aber nie etwas davon gehört, das spielt da keine Rolle.
Rost (CDU): Wie vereinbaren sich denn Ihre Aussagen damit, daß in vielen Asylverfahren von vielen Homosexuellen, aber auch von vielen Frauen, als Asylgründe vorgetragen wird, daß sie in ihre islamischen Heimatländer aus geschlechtsspezifischen Gründen nicht mehr zurückkehren können, da sie sonst verfolgt würden? (...) Ich bin sehr überrascht, daß Sie sagen, Auspeitschungen usw. gibt es praktisch nicht mehr. (...)
Steppat: Ich sehe immer noch nicht so recht den Zusammenhang zwischen einer Privatschule in Berlin und staatlichen Maßnahmen im Iran oder Pakistan. (...) Die Kinder, die hier zur Schule gehen, kommen nicht in die Situation, Ehebrecher zu peitschen oder zu steinigen. (...) Durch die gesamte islamische Geschichte hindurch, gibt es in den islamischen Gesellschaften immer Homosexualität. (...)
Telge: Darum frage ich nach dem Schicksal dieser Menschen.
Steppat: Das ist von Fall zu Fall verschieden. Zum Teil wird es hingenommen wie es in Europa hingenommen wurde, trotz der ähnlichen Verurteilung durch die Kirche. Ich verstehe immer noch nicht, wie man die Frage, ob eine Schule zugelassen wird an dieser Frage aufhängt. Was ist denn hier beabsichtigt? Heißt denn Integration hundertprozentige Angleichung an das, was wir hier haben?
Telge: Herr Algan (Ahmet Algan ist 2.Vorsitzender des Islamkollegs. d.Red.), mich würde interessieren, wie Sie sich ihren Sexualkundeunterricht vorstellen? Welcher Glaubensrichtung gehören Sie an?
Ahmet Algan: (...) wenn Sie unter Sexualkundeunterricht für Grundschülern nicht die Vermittlung von Sexualpraktiken verstehen, sind wir einer Meinung. Man zeigt den Kindern noch nicht, wie es praktiziert wird. Die Kinder sind noch klein: zwischen sieben und zwölf Jahre alt. Entsprechend den Rahmenplänen der öffentlichen Schulen wird das den Kindern beigebracht.
(...) es ist wie ein Verhör hier. Ich lebe seit zwanzig Jahren in der BRD, und ich weiß, man stellt keinem Pfarrer die Frage, wen er wählt, welche Vereine er unterstützt. Ich will hier sagen, daß mir das nicht gefällt. Aber ich habe nichts zu verbergen. Ich mache in der islamischen Föderation die Öffentlichkeitsarbeit, ich bin Mitglied und Unterstützer der Haci Bayram Moschee oder Vakifmoschee. Ich versuche überall Muslime zu unterstützen. Ich bin zweiter Vorsitzender des Islamkollegs (...) soll ich auch erzählen, welche Zeitungen ich abonniere?
Eberhard Seidel-Pielen
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