Es ist anstrengend, sich an die Verkehrsregeln zu halten : Das Ampelmännchen
VON JOHANNES GERNERT
Ich habe neuerdings ein Ampelproblem. Es fing an, als ich begann, bei Rot anzuhalten. Vor der Ampel. Man macht das eigentlich eher nicht, wenn man in Berlin Fahrrad fährt. Man rollt normalerweise unauffällig drüber, sehr langsam. In der Fahrschule hieß das immer „sich vorsichtig in die Kreuzung hineintasten“. Berliner Fahrradfahrer tasten sich vorsichtig über die rote Ampel. Es wirkt ein wenig, als würden sie sich daran vorbeischleichen wollen. Alles ganz behutsam, wie ein Einbrecher im Porzellanmuseum, damit die Ampel bloß nichts merkt.
Wenn sie sich so an der Ampel vorbeigetastet haben, tasten sie weiter Richtung Kreuzung. Gar nicht so selten merken sie dann, dass von links und rechts Autos, Lastwagen und andere Fahrräder vorbeirauschen. Im Grunde ist es ja das, was die Ampel mit diesem Rot sagen möchte. Berliner Fahrradfahrer hören dann mit dem Tasten auf und schauen auf die Fußgängerampel, die meist auch rot ist und dasselbe meint.
Andere gehen ins Kloster
Ich habe das bis vor kurzem genauso gemacht. Dann hat mir ein Kollege erzählt, wie teuer das manchmal ist. Er hatte sich auch an einer Ampel vorbeigeschlichen. Die Ampel selbst dürfte nichts gemerkt haben, zufällig aber befanden sich in der Nähe Polizisten. Es war von einem niedrigen dreistelligen Betrag die Rede. Ich fing an, über das Tasten nachzudenken.
Irgendwann standen dann im Frühjahr an fast jeder Ampel Polizisten in Dienstkleidung oder auch Radlerhosen und kontrollierten Fahrradfahrer. Ich habe später erfahren, dass sie das jedes Jahr im Frühling machen. An einem Morgen habe ich deswegen an jeder Ampel gehalten, als ich zur Arbeit fuhr. Es fühlte sich nach Entschleunigung an. Andere Menschen gehen für so etwas ins Kloster. Seitdem halte ich an roten Ampeln.
Das Problem ist nur, dass ich deshalb zwischen den Ampeln nicht langsamer fahre. Die Leute, die sich über die Ampel hinwegtasten, aber schon. Sie scheinen aus diesem Tastmodus schwer herauszukommen. Sie robben sich todesmutig an den rauschenden Verkehrsstrom heran, gurken dann aber los wie die Sonntagsfahreropis im polierten Oldtimer. Es fehlt nur die behäkelte Klorolle auf dem Gepäckträger.
Ich wackle wie ein Dackel hinterher, Schulterblick, nein, Schulterblick, jetzt, bis ich endlich überholen kann. Das ist meist gar nicht einfach, weil die Fahrradwege nicht immer breit sind und wenn sie über die Straße verlaufen, donnern links Laster und Autos vorbei.
Dann halte ich an der nächsten roten Ampel. Es dauert ein bisschen, aber nach einiger Zeit tasten sich all die Leute, die ich gerade überholt habe, an mir vorbei in die Kreuzung hinein. Da stehen sie wie Michael Schuhmachers auf Schmalreifen. Wenn die Ampel grün wird, schießen sie nicht los. Sie krauchen, als wären ihre Räder umgebaute Rollatoren. Ich weiß meist schon vor ihnen, dass es weitergeht, weil die Rad- oder Autoampel zuerst umspringt, aber sie sind in der Regel breit aufgestellt, sie sind eine ganze Menge, die Führungsgruppe, ich ein einsamer Verfolger. Schnell vorbeiziehen schwer möglich. Nach und nach versuche ich also wieder zu überholen. Und so weiter.
Es bleibt mir wohl nichts anderes übrig, denke ich manchmal, als noch weiter zu entschleunigen.