: »Es hat keinen Sinn, auf bessere Zeiten zu warten«
■ Der Bremer Umweltsenator Ralf Fücks (Grüne) zu den Lehren aus der rot-grünen Koalition in Berlin und den neuen Aufgaben in Bremen
In unserer gestrigen Ausgabe debattierten Renate Künast (Fraktionsvorsitzende von Bündnis 90/Die Grünen) und Hans Kremendahl (SPD-Staatssekretär in der Senatsverwaltung für Wirtschaft und Technologie) über »Utopia Rot-Grün«. Am 15. November 1990 war die rot- grüne Koalition in Berlin offiziell beendet. Zerbrochen war sie an dem Konflikt um die Räumung der besetzten Häuser in der Mainzer Straße. Renate Künast bilanzierte, »die SPD wird lernen müssen, daß Politik mehr ist als verbale Bekenntnisse, Verwalten und Investoren bedienen«. Hans Kremendahl konterte: »Ich sehe auf lange Zeit keinen Ansatz für eine Erneuerung von Rot-Grün in Berlin. Zwar hat sich die SPD durch »grüne« Themen gewandelt. Aber sie bleibt eine Partei, die Regierungsmacht anstrebt und mit ihr auch umgehen will«. Diese eher skeptische Bilanz in punkto rot-grüne Koalition ergänzt der Bremer Umweltsenator Ralf Fücks heute mit der Hoffung: Aus Fehlern lernen.
taz: Ein Jahr nach dem bundespolitischen Tiefpunkt der Grünen gibt es nun eine Regierungsbeteiligung in Bremen. Im Vorfeld hat es von ihrer Seite auch Kontakte nach Berlin gegeben, wie man eine Koalitionsvereinbarung wasserdicht hinbekommt. Was haben Sie aus dem gelernt, was die AL in Berlin gemacht hat?
Ralf Fücks: Zunächst haben wir die Konsequenz gezogen, möglichst präzise und verbindliche Vereinbarungen zu treffen, die nicht permanent Interpretationskonflikte auslösen. Dabei ist uns aber auch klar, daß man keinen kompletten Fahrplan für vier Jahre beschließen kann, sondern nur ein Gerüst. Innerhalb dessen dann zusammengearbeitet und gestritten werden kann und muß. Es ist eine Illusion, daß das Regierungshandeln einer solchen Koalition durch das Koalitionsprogramm definiert werden kann. Es geht eher darum, sich Instrumente zu sichern, die politisches Handeln möglich machen. Die haben wir in den Bereichen Stadtentwicklung und Ökologie und Kultur.
Ihre Position als Umweltsenator ist von den Handlungsmöglichkeiten sicher einer der stärksten, die es in den Bundesländern gibt — weit mehr als die AL in Berlin erreicht hat. Hat die AL zu sehr auf das Papier der Koalitionsvereinbarung geschielt und zu wenig auf die konkreten Handlungsmöglichkeiten geschaut, was auch ein Ernstnehmen der Verwaltung bedeutet?
Ich will nicht nachträglich über die damalige AL-Politik urteilen. Die Chance zum Regierungseintritt kam zu überraschend, und auch für das eigene Selbstverständnis war es eher eine Überforderung, während wir uns doch systematisch auf diese Situation vorbereitet haben. Deshalb war für uns klar, daß wir ein Schlüsselressort einfordern mußten, das nicht nur mit den Folgen der Industriegesellschaft befaßt ist — Arbeitslosigkeit, Abfälle, Abwässer, Emissionen aller Art —, sondern auch Gestaltungsmöglichkeiten — wie in der Energiepolitik — beinhaltet und also auch ein Gegenpol zum Wirtschaftsressort sein kann.
Ströbele hat damals deutlich gemacht, es gehe für die Grünen in Berlin auch um den Einstieg in die Regierungsfähigkeit. Das Wagnis an sich war das Besondere. Das kann heute nicht mehr genügen.
Der Schritt in die Ampel ist natürlich auch ein Wagnis eigener Art. Rot-Grün ist inzwischen fast schon Routine geworden, während die Koalition mit der FDP für die alten Bundesländer auch ein Tabubruch ist. Es ist auch nicht von der Hand zu weisen, daß es programmatisch und vom Politikverständnis her schroffe Gegensätze zwischen Grünen und FDP gibt. Aber daraus kann auch eine produktive Spannung entstehen. Optimistisch gesprochen, müssen wir sehen, ob der Gegensatz zwischen Ökologie und Ökonomie auf Landesebene auflösbar ist. Das ist noch ein großes Fragezeichen. Insofern ist das auch eine Pionierarbeit und ein politisches Experiment. Ich bin deshalb auch sehr vorsichtig, dies als bundespolitisches Modell zu preisen, obwohl für eine Reihe von Bundesländern die Ampel das realistische Modell zur Ablösung absoluter Mehrheiten ist.
Relativieren Sie damit Ihren Auspruch, die Bremer Ampel habe bereits jetzt einen »bundespolitischen Charme«?
Nein. Das unerwartete bundespolitische Interesse an diesem Bremer Koalitionstheater rührt daher, daß damit eine zusätzliche politische Option entsteht — nicht nur für Baden-Württemberg und Bayern, sondern möglicherweise auch für die Ablösung der Regierung Kohl. Dazu stehe ich auch. Das heißt aber nicht, absehbare Konflikte und mögliche Bruchstellen einer solchen Koalition zu beschönigen. Die FDP, wie sie leibt und lebt mit ihrem Programm und politischen Personal, ist eben doch weit davon entfernt, vom Ideal einer liberal-bürgerrechtlichen Partei, die gut zu der grünen Programmatik paßt.
In Berlin ist Rot-Grün vor einem guten Jahr zusammengebrochen. Das hatte auch etwas mit dem geschichtlichen Umbruch zu tun: mit der Aufgabe, zwei Städte zusammenfügen zu müssen. Dafür war die AL inhaltlich und personell überfordert. Sind die Grünen nur Koalitionspartner für eine florierendes Gemeinwesen und gute wirtschaftliche Zeiten?
Das war ein wesentlicher Punkt in der innergrünen Auseinandersetzung: das Zurückschrecken vor der Regierungsverantwortung in Zeiten, in denen die Knappheit der Mittel das Regierungshandeln diktiert und grüne Politik sich unter Schlechtwetterbedingungen bewähren muß. Das beinhaltet in Bremen eine ganze Reihe von Zumutungen, sowohl gegenüber unseren eigenen Oppositionsforderungen wie gegenüber der grünen Klientel. Es ist für die Grünen eine ganz neue Rolle, sich vor dem Hintergrund begrenzter Möglichkeiten bewähren zu müssen und zugleich zu zeigen, daß es trotzdem noch Handlungsspielräume für Ökologie, soziale Grundsicherung und für mehr Demokratie gibt. Aber wenn man den Umbruch in Europa ernst nimmt, dann wird das keine Ausnahmesituation bleiben, sondern zum Regelfall von Politik werden. Es hat deshalb gar keinen Sinn, auf bessere Zeiten zu warten. Eine ökologische Politik ist eine, die viel stärker als sozialdemokratische Politik mit knappen Ressourcen umgehen muß.
Hat die AL neben ihren zu großen Erwartungen an die Koalitionsvereinbarung ihren Handlungsspielraum zu wenig genutzt, indem sie auch nicht darauf reagiert hat, daß der europäische und deutsche Umbruch Signal für eine andere Politik hätte sein müssen?
Rot-Grün in Berlin hat zu einem Zeitpunkt stattgefunden, an dem die enormen Erwartungshorizonte erst allmählich sichtbar wurden. Das war mitten in einer Phase, in der die Grünen insgesamt hilflos reagierten. Die Niederlage bei der Bundestagswahl war gerade die Quittung dafür, daß die Grünen mit dem historischen Umbruch nicht umgehen konnten, sondern an den alten Politikkonzepten festhielten, obwohl die von der Realität bereits überholt waren. Es ist leicht, dies im nachhinein zu kritisieren gegenüber dem Versuch, trotzdem angemessen zu reagieren. Wir hatten in Bremen einen viel längeren Vorlauf als die AL hatte, um sich auf eine neue Realität einzustellen.
Hat sich die AL auf neue Realitäten eingestellt? Bei der Vereinigung mit den Bürgerrechtsgruppen, die neue Politikinhalte hineinbrächten, ist man immer noch nicht vorangekommen.
Ich habe keine Lust, mich jetzt als Schiedsrichter aus der Bremer Provinz aufzuspielen. Ich sehe aber, daß in Berlin die Probe aufs Exempel gemacht werden muß, ob aus Grün und Bürgerbewegungen eine gemeinsame Kraft entstehen kann oder sie gemeinsam gegen die Wand laufen. Insofern hat die AL eine große Verantwortung für die Grünen insgesamt, weil sie an einer Nahtstelle des Bruchs sitzt. Das Gespräch führte Gerd Nowakowski
Ralf Fücks Foto: Reinhard Janke/argus
34BERLIN
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