„Es gibt andere Autoritäten“

VORTRAG Eine Religionswissenschaftlerin erklärt, wie Internet und Religion zusammen funktionieren

■ 38, Juniorprofessorin am Institut für Religionswissenschaft und Religionspädagogik der Uni Bremen.

taz: Frau Radde-Antweiler, grüß Gott, lol*.

Kerstin Radde-Antweiler: :-)

Anders gefragt: Verstaubte Religion und modernes Internet – das passt doch nicht zusammen, oder?

Das geht sehr gut. Religion hat ihren Platz in Online-Foren, in Spielen und auf Webseiten. Im Grunde waren Religionen und religiöse Bewegungen die ersten, die das Web benutzt haben und präsent waren – neben Pornografie.

Seltsam, oder?

Nun, beides sind für die Gesellschaft heutzutage eher Tabuthemen. Heute würde keiner mehr auf eine Party gehen und sagen: „ich bin religiös“ – ebenso wenig wie man sagen würde: „ich schaue Pornographie“. Im Internet ist es für die einzelnen Akteure möglich, sich zu treffen, auch für kleinere Religionsgemeinschaften. Etwa die Hexen, die als religiöse Tradition eher verbrämt sind, finden sich über das Internet. Verstärkt das den Einfluss der Religion?

Sie wird sichtbarer. Die Leute können globaler über ihre Religion sprechen und andere Religionen kennenlernen. Aber wenn man Rituale online durchführt, verändert sich auch etwas: durch die Haptik oder Gerüche.

Sie reden von Gottesdiensten im Internet?

Ja. Auch diese gibt es. Sie werden primär von Laien durchgeführt, nicht offiziell. In Deutschland gibt es wenige Ausnahmen: Die St. Georg-Gemeinde aus der Erzdiözese Freiburg hat etwa eine Kirche im Online-Rollenspiel „Second Life“ aufgebaut.

Ist das eine demokratische Entwicklung?

Ich wäre vorsichtig, das den neuen Kommunikationstechnologien zuzuschreiben. Im Grunde haben Kirchen noch nie kontrolliert, was zu Hause über Religion gesprochen wurde. Hier findet das nun in Foren statt und wird damit für alle sichtbar. Und: Es gibt andere Autoritäten – den Administrator etwa, der kontrolliert, was veröffentlich wird und was nicht.

Unterscheidet sich der Umgang der Religionen?

Ja. Die katholische Kirche hat von Rom bestimmte Richtlinie vorgegeben, aber in Deutschland geht sie am aktivsten mit diesem Medium um. Bei den evangelischen Landeskirchen ist das sehr unterschiedlich. Das gilt auch für buddhistische Gruppierungen oder neue esoterische Bewegungen – da kann man teilweise online Opfer durchführen oder meditieren.  Interview: JPB

*Chatsprache für: lautes Lachen

18 Uhr, Haus der Wissenschaft