: Es darf geschmachtet werden
COVERVERSIONEN Martyn Ware ist zurück mit seiner sozialistischen Song-Revue „Songs of Quality & Distinction“: Diesmal lässt er fröhliche Popsongs als düstere Elektronikversionen wiederauferstehen
VON ARAM LINTZEL
Der etwas makabre posthume Antithatcherismus, der nach Margaret Thatchers Tod kürzlich aufkam, erinnerte noch einmal an die politischen Kämpfe einer Zeit, in der nicht nur der Neoliberalismus durchstartete, sondern auch der politische Pop aus dem Geiste des Post-Punk neue Formen fand. Unter dem Label New Pop bildeten Glamour, Zitat-Pop und linke Politik eine Einheit, die den britischen Klassenkampf gleichzeitig fortsetzte und überschritt. Dass man als smarter Anzugträger weit links sein kann, demonstrierte damals niemand so eindringlich wie die Band Heaven 17. Ihr Synthiepop-Stück „(We Don’t Need This) Fascist Groove Thang“ von 1981 wurde zur hippen Hymne gegen Thatcher, Reagan und all die auftrumpfenden Neocon-Jünger, die zwar wie die New-Pop-Leute Krawatte trugen, aber eben mit dem falschen Bewusstsein.
Kein Wunder, dass dieser Ruf aus dem nordenglischen Sheffield kam, bekanntlich hatte sich Thatcher den Norden als Testterrain für ihre Privatisierungsexzesse ausgesucht. Bands wie Heaven 17 und Human League gaben den Bewohnern der alten Industriestädte so wie ein Jahrzehnt zuvor Northern Soul zumindest kulturell ein bisschen Würde zurück.
Zu den Gründungsmitgliedern von Heaven 17 gehörte Martyn Ware, der auch schon Human League mit ins Leben gerufen hatte. Wares Projekt British Electric Foundation (B.E.F.) existierte schon seit 1980. B.E.F. war nicht nur die Produktionsfirma von Heaven 17 und einigen anderen Künstlern, dort sollten außerdem – so der Gründungspakt – Sänger und Sängerinnen ihre Lieblingslieder als elektronische Popsongs neu aufnehmen.
I wanna be your dog
1982 und 1991 sind Teil 1 und 2 von „Music Of Quality And Distinction“ erschienen; über 20 Jahre mussten vergehen, bis nun endlich Volume 3 erscheinen konnte. Es ist die erste B.E.F.-Kompilation, der mit „Dark“ ein atmosphärischer Überbau mitgegeben wurde. Das Konzept laut Ware: „düstere Elektronikversionen von happy Popsongs“ einzuspielen. Spätestens bei Boy Georges Verwandlung des Stooges-Evergreen „I Wanna Be Your Dog“ in eine campe Mini-Rockpop-Opera dünkt es einem allerdings: Super Idee – aber was bitte war am Original fröhlich?
Nun sind Konzepte dazu da, früher oder später verraten zu werden und selbst ohne letzte Stringenz ist „Dark“ eine großartige Arbeit geworden. Bekannte und unbekanntere Künstler treten auf, solche die man nicht mehr oder noch nicht auf dem Zettel hatte. Und durchaus auch ästhetisch vorbelastete Sängerinnen und Sänger: Gleich zu Beginn zaubert Kim Wilde aus dem Stevie-Wonder-Song „Everytime I See You Go Wild“ eine wunderbar unlockere Mischung aus Torchsong und elektronischem Soundscape.
Kim Wilde und Boy George sind nicht die einzigen Überlebenden der Pop-Achtziger, die dabei sind. Des Weiteren tun Andy Bell (Erasure), Glenn Gregory (Heaven 17) und Green Gartside (Scritti Politti) mit. Die naheliegende Gefahr ist da natürlich, dass die goldenen Jahre des britischen (New-) Pop als risikoarme, postpolitische Revue wiederaufgeführt werden könnten. Jedoch: Die fast aristokratisch anmutende Souveränität des Synthiepop-Haudegen lässt kleinkarierte Vorwürfe – Retromania!, Altherren-Sentimentalität! – elegant abperlen. Was wäre Wares emphatisches Popverständnis auch wert, wenn es sich nicht in der Gegenwart beweisen könnte?
Mit geübter Smartness lässt Dramaturg Ware seine insgesamt 16 Gäste Innerlichkeiten als Äußerlichkeiten inszenieren. Pop ist hier noch burleskes Maskenspiel, und es darf geschmachtet werden. Ein grandioses Highlight ist die Interpretation des Delfonics-Songs „Didn’t I Blow Your Mind“ von Green Gartside. Dessen honigweiche Kunststimme vermag zu berühren und emotionale Assoziationsketten in Gang zu setzen, obwohl oder gerade weil sie „echte Gefühle“ auf Abstand hält.
Weniger legendär, dafür nicht minder artifiziell ist die Stimme von Polly Scattergood. Ihre Version von Burt Bacharachs millionenfach gecovertem „The Look of Love“ ist eine der schönen Überraschungen des Albums. Scattergoods Flüstergesang rekonstruiert den Song sehr konzentriert – und klingt doch irgendwie verpeilt. Ewig könnte man hinhören, seltsam skulptural steht diese Stimme im Raum.
The day before you came
Natürlich ist über den Titel der B.E.F.-Reihe zu reden. „Music of Quality & Distinction“: Das klingt wie aus dem Manufactum-Katalog. Martyn Ware ist um wahre, gute und schöne Musik bemüht, und um den guten Klang; nicht umsonst hat er ein 3-D-Surround-Klangsystem entwickelt, das bei den Olympischen Spielen in London zum Einsatz kam und für Musiktherapien genutzt wird. Gleichzeitig ist er sich der Sackgassen des ungebrochenen Connaisseurtums zum Glück gewahr. Immer wenn es zu gediegen nach Adult Oriented Electronica klingen könnte, schaltet er eine balearische Stimmung oder einen angeprollten Handbag-Housebeat dazwischen. Oder er lädt mit Maxim einen russischen Popstar ein, der offenbar das Russenklischee ironisch bejahen will, so derbe und dick wie er in seiner Version von ABBAs „The Day Before You Came“ aufträgt.
Missglückt ist leider das Finale: Kelly Barnes singt „Co-pilot To Pilot“ von Teena Marie so elaboriert, als stehe die Aufnahmeprüfung bei der Popakademie an. Ein rundes und ungezwungenes Werk ist „Music Of Quality & Distinction Vol 3“ aber trotz solcher Stilbrüche geworden, eines, zu dem sich manchmal traurigschöne Tränen vergießen lassen. Anrührend ist Glenn Gregorys Fassung von „Party Tears Two,“, im Booklet als Tribute für den Associates-Sänger Billy MacKenzie eingeführt. Billy MacKenzie, der auf Music of Quality & Distinction Volume 1 und 2 mitwirkte, nahm sich 1997 das Leben. Gregory befreit den Associates-Hit von allem Ornamentalen und begibt sich auf eine sehr persönliche Reise ins Innere der Trauer.
Vielleicht steckt nicht nur in diesem Song ein Kommentar zu den Gefühlen der Gegenwart. Auf „Music of Quality & Distinction Vol 3“ liegen Euphorie und Ermattung, Überschwang und Melancholie sehr nah beieinander, genauso wie im richtigen Leben der Leute von heute.
■ British Electric Foundation: „Music of Quality &Distinction Vol 3“ (Wall of Sound/Al!ve)