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Erzwungene Dienstleistungen

■ In Fallen Angels von Wong Kar-Wai macht eine abgelaufene Ananasdose stumm, und ein Profikiller tötet kommentarlos

Fern von jedem Studio, mit vielfachem Schnitt und Gegenschnitt, tanzt die Kamera um die Agentin (Michelle Reis bzw. Li Kar-yan) herum, rückt ihr nahe bis an die allzulangen Stirnfransen. Die Agentin besorgt in Wong Kar-Wais neuem Film Fallen Angels dem Profikiller Wong Chiming (Leon Lai Ming) Jobs und putzt ihm die Bude. Sie ist in ihn verliebt, aber „Partner dürfen nicht zuviel miteinander zu tun haben“, erklärt Wong Chiming ihr und schläft mit einer hysterischen falschen Blondine, „damit mich niemand vergißt“, während die Agentin auf seinem Bett masturbiert und manchmal weint.

He Qiwu (Kaneshiro Takeshi) ist stumm, weil er mit fünf Jahren Dosenananas jenseits des Verfallsdatums gegessen hat, eine Methode die bereits in Wong Kar-Wais Debüt, Chunking Express, von einem unglücklich Verliebten getestet wurde. Nachts verbringt He seine Zeit damit, gestenreich in Geschäfte einzubrechen und anderen Menschen Dienstleistungen aufzuzwingen, „um die Läden am laufen zu halten“. Dabei verliebt er sich in Charlie (Charlie Young), die allerdings noch ihrem Johnny hinterhertrauert und ihn bald sitzenläßt.

Die Imbißbuden-Bilder aus Hongkong, wo eigentlich immer Nacht zu sein scheint, seine miesen, lauten, kleinen Wohnungen, die öden U-Bahn-Stationen, die Häuserschluchten, in denen Dampf aufsteigt, das ganze Blade-Runner-Szenario also ist ein so häßlicher wie lebenspendender Untergrund für die mal paralysierten, mal hektischen, immer aber sehr schönen und begehrenswerten Figuren, die oft von ihrem Gedankenmonolog aus dem Off begleitet werden. Das Praktische am Profikillerdasein, meint Chiming im Off, ist, daß er die Entscheidungen nicht selbst fällen muß. Seine Massaker wirken so unmotiviert wie stereotyp und werden gar nicht erst kommentiert. Wozu auch? Trotzdem ist er nicht ganz glücklich mit seinem Beruf, da er sich oft eigenhändig Kugeln aus dem Fleisch suchen muß.

Ähnlich wie in Chunking Express wundern sich auch in Fallen Angels die Figuren ständig darüber, daß man so dicht aufeinander wohnen kann wie in Hongkong und doch so allein ist. Aber es gibt noch viele verrückte Zufälle, und die Nacht ist voller Irrer und Krimineller. Und vielleicht ist ja ein Freund dabei?

Die Willkür des Zufalls ist es, die in Wong Kar-Wais Filmen die einzelnen Handlungen und Charaktere aneinanderbindet – in Fallen Angels dichter als in Chunking Express. Da sich der Zufall bekanntermaßen weder an Rhythmus noch an Logik hält, wird Fallen Angels trotz der Kurzweiligkeit der Einzelszenen zu einem unendlich langen Film. Denn es ist nicht absehbar, worauf er hinausläuft und wann er endet. Aber Fallen Angels darf das. Eigentlich sollte er überhaupt nicht aufhören.

Ulrike Winkelmann

Abaton, Neues Broadway, Zeise

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