Erziehungswissenschaftler über junge Türken: "Motor der Integration"
Die Mehrheit der türkischstämmigen Jugendlichen will an der Gesellschaft teilhaben, sagt Heinz Reinders. Doch das werde bei der aktuellen Debatte ausgeblendet.
taz: Herr Reinders, Sie behaupten, die Integrationsbereitschaft von Jugendlichen türkischer Herkunft steigt. Wie kommen Sie darauf?
Heinz Reinders: Unsere Studie zeigt, dass heute im Vergleich zu früheren Untersuchungen immer mehr Jugendliche türkischer Herkunft sagen, dass sie ein sehr großes oder großes Interesse daran haben, sowohl türkische als auch deutsche Freunde zu haben, und Gleiches gilt auch für den türkischen und deutschen Sprachgebrauch.
Wen haben Sie für Ihre Untersuchung befragt?
Wir haben 2007 und 2005 in Mannheim und Ludwigshafen 1.099 türkischstämmige Hauptschüler befragt. Repräsentativ ist diese Studie nicht. Trotzdem kann man als ein Ergebnis unserer Untersuchung festhalten: Junge Türken sind der Motor der Integration.
Äußern die Jugendlichen Wünsche oder haben sie in der Tat deutsche Freunde und sprechen mit Eltern und Geschwistern Deutsch?
Zwei Drittel der Jugendlichen, für die ein deutscher Freund wichtig ist, haben auch einen. Genauso viele der Jugendlichen sprechen zu Hause Türkisch und Deutsch. Eine große Gruppe hat also nicht nur Interesse an Integration, sie lebt diese Integration auch. Und auch das Gefühl der Benachteiligung hat im Vergleich zu 2005 bei den Jugendlichen abgenommen.
Die Jugendlichen fühlen sich heute weniger diskriminiert als noch vor einigen Jahren?
Dieses Gefühl geht von 25 auf 21 Prozent zurück.
Wie passen Ihre Zahlen in die aktuelle gesellschaftliche Debatte? Die legt nahe, dass die türkischstämmigen Jugendlichen sich zunehmend zurückziehen und die türkische Nation und der Islam für sie immer wichtiger werden - auch weil sie sich von der deutschen Gesellschaft nicht angenommen fühlen.
Die öffentliche Diskussion ist ganz stark an singulären Ereignissen orientiert, wie der Überfall in der Münchner U-Bahn wieder einmal gezeigt hat. Diese Einzelfälle werden stark stilisiert und verallgemeinert. So wird ein Bild gezeichnet, dass jedoch nicht auf die breite Masse zutrifft. Die besitzt nämlich einen ganz erstaunlichen Eigenoptimismus. Trotz der objektiven Benachteiligung, zum Beispiel was den Übergang von der Schule in das Arbeitsleben angeht, wollen diese Jugendlichen sich selbst nicht ausgrenzen. Sie sagen: Ich will einen Platz in dieser Gesellschaft beanspruchen und mich mit der Balance von Herkunft- und Aufnahmekultur arrangieren.
Wie groß ist der Anteil dieser Jugendlichen? Andere Untersuchungen legen nahe, dass diese Gruppe schrumpft und die Gruppe größer wird, die sich abgrenzt.
Da sind unsere Ergebnisse anders: Natürlich sagen wir nicht, dass es diese segregierten türkischen Jugendlichen, die sich vor allem an ihrer Herkunftskultur orientieren wollen, nicht gibt. 2005 waren das 30,5 Prozent der befragten Jugendlichen, 2007 noch 27 Prozent. Das ist natürlich noch immer eine relevante Gruppe, aber es ist nicht die Mehrheit. Und man sollte nicht diese Minderheit benutzen, um ein Bild von einer ganzen Generation türkischstämmiger Jugendlicher zu zeichnen. Denn das wesentlich wichtigere Signal ist: Die große Mehrheit der türkischstämmigen Jugendlichen will teilhaben an dieser Gesellschaft und sich integrieren.
Also ist alles nicht so schlimm? Es gibt doch diese andere Gruppen von Jugendlichen, und das ist ein Problem.
Natürlich, und man kann die Daten unserer Studie natürlich auch so lesen: Ein Viertel der türkischstämmigen Jugendlichen wollen nur ihre Herkunftskultur leben, sie fühlen sich benachteiligt, haben wenig bis gar keinen Kontakt zu deutschen Gleichaltrigen, in der Familie ist Türkisch die dominante Sprache und es herrscht ein religiöser Erziehungsstil vor. Aber das Glas ist eindeutig zwei Drittel voll. Und das wird bei der augenblicklichen Debatte ausgeblendet.
Was bedeutet diese Integrationsdebatte, wie wir sie im hessischen Wahlkampf oder auch beim Besuch des türkischen Ministerpräsidenten Erdogan hatte, für die Mehrheit der Jugendlichen?
Wenn man es positiv bewerten will, heißt das sicherlich, dass das Thema Integration weiterhin auf der Tagesordnung steht. Aber die Art und Weise der Diskussion ist natürlich nicht immer produktiv. Sinnvoll wäre, die Jugendlichen selbst zu Wort kommen zu lassen. Das ist ja eines der großen Mankos der aktuellen Debatte: Dass Erwachsene über eine Jugendgeneration sprechen, ohne deren eigentlichen Bedürfnisse und Sichtweisen zu Wort kommen zu lassen. Wenn das passieren würde, wäre das Bild ein anderes und es gäbe auch viel mehr Ansätze, wie man produktiv und unterstützend diesen Integrationsprozess begleiten könnte.
INTERVIEW: SABINE AM ORDE
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