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Archiv-Artikel

Erwartungen ans Spiel „Aufgeregt wie vor der Hochzeit“

Alles total friedlich – es gibt derzeit kaum jemanden, von dem eine andere Prognose für die Stimmung rund um das heutige EM-Spiel zu hören ist. Türkei gegen Deutschland: „Das ist eine historische Chance für das Zusammenleben von Deutschen und Türken, eine Probe für die Integration“, sagt Mehmet Matur, Integrationsbeauftragter des Berliner Fußballverbandes. Am Tag vor dem großen Match war er noch mit dem Druck von T-Shirts beschäftigt, die an diesem Abend zum Einsatz kommen sollen: Sie zeigen ein Herz, das zur Hälfte die Farben der deutschen, zur anderen die der türkischen Fahne füllen. Darunter steht in schnörkeligen Lettern: „Freundschaft soll siegen“.

Ungefähr so muss das Herz von Ahmet Külahci gerade aussehen: „Ich wünsche mir zwar, dass die Türkei gewinnt“, sagt der Leiter der Berlin-Redaktion der türkischen Tageszeitung Hürriyet. Trotzdem sieht er in der deutschen Nationalmannschaft den Favoriten, denn „die Deutschen sind das stärkere Team“. Dass es im Anschluss an das Spiel in Berlin zu Ausschreitungen kommen könnte, fürchtet Külahci nicht: „Die Türken haben in den letzten Wochen gezeigt, dass sie friedlich feiern können.“ Dennoch: „Dass dumme Menschen Dummheiten machen, kann man nie ausschließen.“

Auch die Polizei geht nicht von einer besonderen Gefahrenlage aus. Dass sie mit mehr Beamten als gewöhnlich unterwegs ist, „versteht sich von selbst“, sagt Polizeisprecher Uwe Kozelnik. Einsatzschwerpunkte seien die bekannten Public-Viewing-Orte wie etwa die Fanmeile, aber auch die Autokorso-Strecke um die Gedächtniskirche. Für Kieze wie das Kottbusser Tor oder den Hermannplatz sieht Kozelnik keine Krawallgefahr: „Dort wird gefeiert werden wie immer: emotional, aber friedlich.“

Dass aus dem Spiel ein Fest wird, wünscht sich auch Emre Kiraz, Vorsitzender des Vereins Berlin-Istanbul-Network. Denn: „Egal welches Land siegt: Wir gewinnen doch immer mit!“ Ganz so unparteiisch ist er aber doch nicht, wie seine Prognose verrät: „Fünf zu Null für die Türkei!“ Der beste türkische Spieler, Hamit Altintop, komme ja sowieso aus Deutschland, so Kiraz.

Giyasettin Sayan, kurdischstämmiger Abgeordneter der Linken, ist nicht ganz so euphorisch: „Ich glaube nicht, dass die vielen Menschen, die derzeit die deutsche und die türkische Fahne hissen, wirklich zu beiden gleichermaßen stehen.“ Der Abgeordnete mit Lichtenberger Wahlkreis wird sich das Spiel in Kreuzberg ansehen: „Weil meine Söhne mich dorthin schleppen.“ Es gebe in seinem Wahlkreis aber leider „auch ein paar Cafés, in die ich mich heute Abend nicht trauen würde.“ Sein Favorit: „Die Mannschaft, die am besten, am fairsten und am klügsten spielt.“

So gelassen kann Mehmet Matur, der Integrationsbeauftragte des Berliner Fußballs, die Sache nicht angehen: Er sei so aufgeregt „fast wie bei meiner Hochzeit vor 25 Jahren“, so Matur. Seine Prognose: „Ich bin türkischer Herkunft, bin in der Türkei geboren, aber … Ich sag’s mal so: Gegen Deutschland zu verlieren kann man eher verkraften als gegen eine andere Mannschaft. Damit kann man leben.“ ALKE WIERTH