■ Erster Prozeß vorm Internationalen Tribunal in Den Haag: Eine Eintagsfliege?
Fast vier Jahre, nachdem die Bilder aus den serbischen Todeslagern in Bosnien um die Welt gingen, beginnt endlich der öffentliche Teil der juristischen Aufarbeitung dieser und anderer Kriegsverbrechen. Mehr als zweieinhalb Jahre nach Einrichtung des Internationalen Tribunals in Den Haag durch den UNO-Sicherheitsrat wird dort der erste Prozeß eröffnet – trotz aller Tricks und Verzögerungstaktiken des Angeklagten und seiner Verteidiger, trotz aller Drohungen und Einschüchterungsversuche gegen potentielle Belastungszeugen, und trotz aller subtilen Verhinderungsversuche zahlreicher Regierungen, die es mit dem Tribunal nie wirklich ernstgemeint hatten. Dieser von vielen Beobachtern noch vor einiger Zeit nicht für möglich gehaltene Erfolg ist ganz wesentlich der Beharrlichkeit von Chefankläger Richard Goldstone zu verdanken.
Noch ist allerdings die Gefahr groß, daß der Prozeß gegen Dusan Tadić eine Eintagsfliege bleibt, oder daß außer ihm höchstens noch einige wenige untere Chargen vor den Schranken des Tribunals erscheinen müssen. Die Hauptdrahtzieher der seit 1991 in Ex-Jugoslawien verübten Kriegsverbrechen in Belgrad und Zagreb können sich nach wie vor sicher wähnen. Die Regierungen der fünf Garantiemächte des Dayton-Abkommens halten immer noch ihre schützende Hand über Slobodan Milošević und Franjo Tudjman, und damit auch über deren Befehlsempfänger und Protegés in Bosnien, zum Beispiel Radovan Karadžić und Ratko Mladić.
Diese Regierungen tun das, weil sie dem irrigen Glauben anhängen, die Herren und ihre autoritären bis faschistischen Regimes könnten Stabilität und Frieden in Ex-Jugoslawien garantieren. Und sie tun das auch, weil sie selbst in deren Verbrechen verstrickt sind – zum Beipiel durch die Vorabsprachen über die „ethnische Säuberung“ Srebrenicas und der Krajina im letzten Jahr.
Solange dieses Kartell des Schweigens und der Komplizenschaft aufrechterhalten bleibt, kann die Verurteilung einiger Täter durch das Den Haager Tribunal vielleicht einigen überlebenden Opfern zumindest etwas Genugtuung verschaffen. Zur Aufklärung der tatsächlichen Schuldzusammenhänge und zur Verurteilung der eigentlichen Täter reicht dies aber nicht aus. Für die Versöhnung in Bosnien und Kroatien wäre gerade dies wiederum eine unerläßliche Voraussetzung. Andreas Zumach, Genf
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