Erschreckender Amnesty-Bericht über Tibeter: Folter und Tod in Chinas Gefängnissen
Mehr als 1.000 Tibeter werden seit den März-Unruhen gefangen gehalten, berichtet Amnesty International. Viele sollen gefoltert und misshandelt, einige getötet worden sein.
PEKING taz Drei Dutzend ausgewählter ausländischer Journalisten durften am Wochenende aus Anlass des olympischen Fackellaufs Tibet bereisen - doch nur im offiziellen Konvoi, ohne Kontakt zur Bevölkerung. Seit den tibetischen Unruhen im März gab es nun schon vier solcher Stipvisiten von Journalisten oder Diplomaten aus dem Ausland in Tibets Hauptstadt Lhasa. Schlauer über die Lage vor Ort aber ist die Welt dadurch nicht geworden.
Umso mehr Licht wirft der neue Tibet-Bericht der Menschenrechtsorganisation amnesty international auf die Situation in den vor der Weltöffentlichkeit abgeriegelten tibetischen Gebieten in China. Amnesty hat in den letzten Wochen sämtliche chinesischen Verlautbarungen über Tibet akribisch ausgewertet und kommt nun zu dem Ergebnis, dass allein nach chinesischen Angaben über 1.000 Menschen seit den Unruhen ohne offizielle Anklage oder Prozess gefangen gehalten werden. Vielen von ihnen würde der Kontakt zu ihren Familien und zu einem Rechtsanwalt verwehrt. Mit diesem Vorgehen würden die chinesischen Behörden gegen ihre eigenen Gesetze handeln, die längere Festnahmen ohne Anklage nicht gestatten.
Für amnesty gibt es darüber hinaus glaubwürdige Berichte tibetischer Organisationen im Ausland, nach denen tibetische Gefangene, die im Zusammenhang mit den Unruhen festgenommen wurden, gefoltert und misshandelt worden sind. Einige Gefangene wären durch Misshandlungen der chinesischen Sicherheitskräfte in Haft getötet worden.
"Viele hundert, vielleicht tausende von Tibetern befinden sich in Gefängnissen oder Haftanstalten, ohne dass die Regierung ihre Gefangenschaft öffentlich einräumt oder sie mit einer formellen Klage belastet", schreibt amnesty. Der einzige Lichtblick: Vor Ankunft des olympischen Feuers in Lhasa wurden nach Angaben der staatlichen chinesischen Nachrichtenagentur Xinhua 1.000 Menschen freigelassen, die nach den Unruhen verhaftet worden waren. Handelte es sich womöglich dabei um genau jene tausend, die amnesty zuvor als vermisst gemeldet hatte? Der parteikritische Pekinger Tibet-Experte Wang Lixiong bleibt skeptisch: "Niemand weiß wirklich, was mit den Demonstranten in Tibet geschehen ist. Wenn jetzt tausend freikommen, sind womöglich noch hunderte in Haft. Nach meinen Informationen wurden mehr als tausend verhaftet."
Wang beklagt, dass niemand in Tibet unabhängig ermitteln dürfe. Deshalb könne man auch die auf chinesischen Quellen beruhende amnesty-Darstellung weder bestätigen noch als Falschdarstellung abtun. "Klug wäre es für die chinesische Seite, eine internationale Gefängnisinspektion in Tibet zuzulassen", sagt Wang.
Dennoch bietet der amnesty-Bericht neue Einsichten, indem er etwa die chinesische Regierung vor allem für ihr systematisch rechtswidriges Verhalten im Anschluss an die Unruhen kritisiert - nicht aber für ihre unmittelbare Reaktion auf den Aufstand von Lhasa am 14. März. Nach chinesischen Angaben kamen an diesem Tag in Lhasa 21 Menschen ums Leben, die meisten von ihnen Chinesen, die Verbrennungen erlitten. Nach Angaben der tibetischen Exilregierung in Dharamsala starben am 14. März dagegen über hundert Menschen, die meisten von ihnen Tibeter, aufgrund des Eingriffs der chinesischen Sicherheitskräfte. Der Dalai Lama sprach in diesem Zusammenhang in einem Spiegel-Interview von einem "Blutbad". Diese Version aber muss heute wohl bezweifelt werden. Selbst Tashi Chopel, Sprecher der exiltibetischen Menschenrechtsorganisation Tibetan Centre for Human Rights and Democracy (TCHRD), bestreitet heute - entgegen vorherigen Berichten auch seiner Organisation -, dass es glaubwürdige Angaben über die Zahl der Todesopfer vom 14. März gebe. "Wir glauben, dass es mehr als dreißig waren", grenzt sich Chopel gegenüber den viel höheren Opferangaben der Exilregierung ab.
Tatsächlich hielten sich am 14. März noch über tausend ausländische Touristen in Lhasa auf. Viele Tibeter konnten an diesem Tag noch über Mobiltelefone Photos senden. Dennoch fehlen bis heute Beweise, dass chinesische Sicherheitskräfte massiv gegen Tibeter vorgingen. "Auch wir wissen, dass an diesem Tag viele durch Verbrennungen starben. Wir wollen das nicht politisieren", sagt Chopel. Er weiß, dass für die Brandsätze Tibeter verantwortlich waren. Wogegen er sich dagegen wehre, sagt Chopel, sei "die Strategie der chinesischen Regierung, die Tibetgeschichte auf den 14. März zu reduzieren". Dieser Strategie wirkt nun auch der amnesty-Bericht entgegen. GEORG BLUME
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