Eröffnung der Kanzler-U-Bahn: Die schnellste U-Bahn der Welt
U 55 In nur drei Minuten braust die neue Linie vom Start (Brandenburger Tor) bis zum Ziel (Hauptbahnhof). Das reicht genau, um diesen Erlebnisbericht zu lesen.
Drei Minuten. Länger soll die neue U-Bahn nicht brauchen, vom Brandenburger Tor über Bundestag zum Hauptbahnhof. Klaus Wowereit allein benötigt neun Minuten, um am Tag vor der offiziellen Einweihung die ganze Wichtigkeit des U-Bähnchens zu betonen. Dass sie schon vor Jahren eröffnet werden sollte. Dass sie nun - "wie das Schicksal so spielt" - im Jubiläumsjahr des Mauerfalls in Betrieb gehe. Und dass er hofft, dass die geplante Verlängerung zum Alexanderplatz "zügig" verwirklicht werde. Neben dem Regierenden Bürgermeister spricht noch der BVG-Chef, die Vertreterin des Bundeskulturstaatsministers, der Leiter des Hauses der Geschichte, ein FDP-Bundestagsabgeordneter. Bis alle Pathosredner im U-Bahnhof Brandenburger Tor fertig sind, hätte man locker dreimal zum Hauptbahnhof und zurück pendeln können. Im Zehn-Minuten-Takt.
Aber noch ist Zeit. Zeit um die Stufen zu zählen. Es sind 95 vom neuen Eingang bis runter zum Bahnsteig. Zeit um das ausgeklügelte Farbkonzept der Architektur zu bewundern. Hellgrau. Dunkelgrau. Anthrazit. Zeit um als allererster ein Kaugummi in einen der Mülleimer zu schmeißen. Die sind silbern. Zeit um unten die sieben Tafeln zu analysieren, die keine Werbung, sondern die Geschichte des Brandenburger Tors zeigen. Sie richten sich offensichtlich ans internationale Touristenpublikum. Die Texte sind weiß und auf Englisch. Die deutsche Übersetzung folgt erst an zweiter Stelle. Grau auf schwarz. Unter dem Schlagwort "Symbole der Teilung" zeigt ein Foto die holländische Königin Beatrix zusammen mit dem damaligen Bundespräsidenten Richard von Weizsäcker beim Tor-Besuch 1982.
Eröffnung: Ab Samstag, 11 Uhr, ist die U 55 zwischen Hauptbahnhof und Brandenburger Tor unterwegs. Neugierige dürfen die 320 Millionen Euro teure Stummel-Bahn am Samstag bis 21 Uhr kostenlos benutzen. Danach gilt laut BVG-Werbung: "Jetzt die U55 testen: Kurzstrecke 1,30 Euro."
Einziger Zwischenstopp: der Bahnhof Bundestag. Damit sich das Aussteigen lohnt, steht an diesem Wochenende oben die Infobox zu 20 Jahre Mauerfall. Zudem gibt es kostenlose Führungen durch den Reichstag und dem dazu gehörigen Paul-Löbe-Haus.
Ausbau: Ab 2010 wird der Tunnel zwischen Alexanderplatz und Brandenburger Tor gebaut - mit den Bahnhöfe Rotes Rathaus, Museumsinsel, Friedrichstraße/Unter den Linden. 2017 soll die gesamte Strecke fertig sein. Dann können U-Bahnen vom Hauptbahnhof bis Hönow durchfahren.
Problem: Der Bahnhof Brandenburger Tor ist nur 115 Meter lang. Das reicht nur für Züge mit sechs Waggons.
Zwei Minuten. Um 11.52 Uhr kommt die Durchsage: "In circa zwei Minuten fährt der Sonderzug ein. Bitte Vorsicht an der Bahnsteigkante." Der Zug glänzt. Obwohl er offensichtlich alles andere als neu ist. "Baujahr 79", verrät später der Fahrer. Aber aufpoliert. Die Stangen knallgelb. Die Luft putzmittelätzend. "So sieht also eine saubere U-Bahn aus", sagt eine Journalistin. "Die Fahrausweise bitte!", ruft ein besonders witziger Fotograf.
Klaus Wowereit ist in den letzten der vier Wagen gestiegen. Das war wohl anders geplant. Zudem sind noch nicht alle Pressevertreter da. Es ist erst fünf vor Zwölf. "Der Regierende hat nicht so viel Zeit. Wir fahren jetzt. Punkt!", beschließt BVG-Sprecherin Petra Reetz. Der Zug rollt an. Mit 30 Stundenkilometern, sagt der Fahrer später. Standard wären 50. "Aber wir haben heute ja keinen Betriebsdruck."
90 Sekunden. Erster Halt im Bahnhof "Bundestag". Für fünf Minuten. "Horch was kommt von draußen rein", singen sechs BVG-Damen auf dem Bahnsteig. "Wer hat sich das denn ausgedacht?", fragt die BVG-Sprecherin einen Mitarbeiter. Wowereit lächelt.
Der Bahnhof ist grau. Betongrau. Hellgrau. Aschgrau. Durch ein paar Löcher in der Decke fällt Tageslicht herein. Daneben gibt es unregelmäßig verteilte Spots, die an einen Sternenhimmel erinnern sollen. Wowereit gefällt es hier nicht: "Das ist mir zu viel neue Sachlichkeit."
Und zu wenig Technik. Die Rolltreppen fehlen noch. "Da müssen die Abgeordneten halt ein bisschen laufen", sagt U-Bahn-Direktor Hans-Christian Kaiser mit einem lauten Lachen.
Auf dem Zwischengeschoss, erklärt BVG-Chef Andreas Sturmowski bei der Weiterfahrt, "da war ja mal Kunst vorgesehen". "Und jetzt?", fragt Ingeborg Berggreen-Merkel, die Ministerialdirektorin des Bundeskulturstaatsministers. Sturmowski macht ein Geräusch, als ob die U-Bahn einen Platten hätte. Seine Hände fuchteln ratlos durch die Gegend. Dann erklärt Wowereit der aus Bayern zugereisten Stellvertreterin des Kulturstaatsministers, dass Berliner Weiße mit Schuss etwas aus der Mode gekommen sei. "Wir hatten das früher immer zuhause, aber jetzt schon lange nicht mehr." Auch das sei jetzt mehr was für Touristen.
Hätten sie raus geguckt, wäre ihnen vielleicht aufgefallen, dass die Tunnelröhre auf dem zweiten Abschnitt eckig ist und nicht mehr rund wie zwischen Brandenburger Tor und Bundestag. Fachleute erkennen daran, dass unter dem Brandenburger Tor hindurch im Schildvortrieb gegraben, hier hingegen in offener Bauweise gearbeitet wurde.
Acht Minuten. Trotz der Fahrplan sprengenden Besichtigungspause am Bundestag kommt der Zug schon im Hauptbahnhof an. "Bleiben wir drin?", fragt Wowereit, "den Hauptbahnhof kennen doch alle!" Es hilft nichts. Auch der dritte U-Bahnhof muss bewundert werden. Er ist mit elf Metern der höchste der Stadt. Und bis oben hin grau.
Drei Minuten reine Fahrzeit. Sie sind um, wenn Sie diesen Text zu Ende gelesen haben. Bitte aussteigen.
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