Ermittlungen: Bundestag lässt Journalisten nicht in Ruhe
Gegen "Stern"-Autoren wird seit Monaten wegen des Vorwurfs des Geheimnisverrats ermittelt. Das Verfahren könnte längst eingestellt sein.
Freiburg taz Angeblich waren die Abgeordneten fraktionsübergreifend erschrocken, als sie letzte Woche erfuhren, dass gegen 17 Journalisten wegen Geheimnisverrats ermittelt wird. Den Medienleuten wird vorgeworfen, dass sie aus geheimen Unterlagen des BND-Untersuchungsausschusses zitiert haben. Doch ist das Erschrecken echt? In einem ähnlich gelagerten Fall hat der Bundestag gezielt verhindert, dass das Ermittlungsverfahren eingestellt wird.
Im September 2006 erschien im Stern der Artikel "Tief verstrickt", der anhand geheimer Dokumente die Frage aufwarf, ob die Bundesregierung in die Verschleppung Khaled El Masris durch die CIA verwickelt war. Auf Anregung des BND-Untersuchungsausschusses ermächtigte Parlamentspräsident Norbert Lammert (CDU) daraufhin die Staatsanwaltschaft zu Ermittlungen, Die Staatsanwaltschaft Berlin eröffnete Verfahren gegen "unbekannte" Geheimnisträger im Bundestag wegen Geheimnisverrats sowie gegen die drei Stern-Autoren Hans-Martin Tillack, Oliver Schröm und Uli Rauss wegen Beihilfe. Das Verfahren gegen die Journalisten wurde Ende Januar an die Staatsanwaltschaft Hamburg abgegeben, weil der Stern dort seinen Sitz hat.
Doch die Hamburger Ermittler machten sich wenig Hoffnung, den Journalisten eine Straftat nachweisen zu können. Im Februar teilten sie deshalb Lammert ihre Absicht mit, das Verfahren gegen die drei Stern-Leute einzustellen. Nach Darstellung der Bundestagsverwaltung gab Lammert die Frage an den BND-Untersuchungsausschuss weiter, wo im März die Obleute mit den Stimmen der großen Koalition für eine Fortsetzung der Strafverfolgung plädierten. Der Staatsanwaltschaft wurde daraufhin eine lange Liste der Personen übersandt, die Zugang zu den geheimen Unterlagen hatten. Diese hatten die Ermittler für den Fall angefordert, dass der Bundestag eine Fortsetzung der Ermittlungen gegen die drei Journalisten wünscht.
Am Ende wird das Ermittlungsverfahren dennoch mit ziemlicher Sicherheit ergebnislos enden. Schließlich sind seit dem Karlsruher Cicero-Urteil vom Februar Redaktionsdurchsuchungen in solchen Fällen ausgeschlossen. Doch selbst wenn durch einen Zufall herauskäme, von wem die Journalisten die Unterlagen bekommen haben, so müsste auch noch bewiesen werden, dass der Amtsträger eine Veröffentlichung bezweckte - was wohl kaum gelingen dürfte.
Die Fortführung des Ermittlungsverfahrens vergeudet also nur Arbeitszeit der Justiz - und belastet die betroffenen Journalisten unnötig über Monate hinweg. Bei den 17 neuen Ermittlungsverfahren wird sich das Spektakel wiederholen - wenn nicht der politisch verantwortliche Bundestagspräsident Lammert endlich umsteuert.
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