Ermittlungen in der Liechtenstein-Affäre: Steuerfahnder prüfen 700 Fälle
Erste Bilanz der Liechtenstein-Affäre: Eine Milliarde Euro, die am Fiskus vorbei geschleust wurden, bis zu vier Millionen Euro, die dem Staat entgangen sind, und 200 Selbstanzeigen.
BOCHUM taz In der Affäre um Steuerhinterziehung über liechtensteinische Stiftungen werden sich die ersten Beschuldigten bald vor Gericht verantworten müssen. "Wir rechnen mit Anklagen noch in diesem Sommer", so der Sprecher der Ermittler, Eduard Güroff, zur taz. Ein Ende des Verfahrens ist nicht abzusehen: Mittlerweile untersucht die zuständige, auf Wirtschaftskriminalität spezialisierte Schwerpunktstaatsanwaltschaft Bochum über 700 Fälle.
Begonnen hatte die Affäre im Februar: Gestützt auf einen Informanten des Bundesnachrichtendienst BND, durchsuchten die Bochumer Steuerfahnder Dutzende Objekte, darunter die Kölner Villa des damals noch amtierenden Vorstandsvorsitzenden der Post AG, Klaus Zumwinkel. Mehr als 10 Millionen Euro soll der 64-Jährige über Jahre bei der Liechtensteiner LGT-Bank geparkt, Zinsen in Millionenhöhe aber vor den deutschen Steuerbehörden versteckt haben. Schon am 15. Februar trat Zumwinkel zurück.
Dabei war der Post-Chef nur der Prominenteste von hunderten mutmaßlichen Steuerhinterziehern. "Bis heute haben wir Objekte von über 200 Verdächtigen durchsucht", sagt Oberstaatsanwalt Güroff. Insgesamt sei mehr als 1 Milliarde Euro nach Liechtenstein geschleust worden, die Zinsen seien den deutschen Steuerbehörden nicht gemeldet worden. Der Schaden ist immens: Die Ermittler gehen von einer Gesamtsumme im dreistelligen Millionenbereich aus. "Die Einzelschäden reichen von knapp 100.000 bis zu 4 Millionen Euro", sagt Güroff.
Selbst angezeigt haben sich mittlerweile über 200 Steuerbetrüger. Sie hoffen auf Strafmilderung und zahlten deshalb bis heute mehr als 50 Millionen Euro an ihre zuständigen Finanzämter. Weitere Verhaftungen gab es in den vergangenen Wochen dennoch: Seit Mitte Mai erwirkte die Staatsanwaltschaft Bochum drei Haftbefehle, eine Person sitzt noch in Untersuchungshaft. "Manche zocken, bis wir vor der Tür stehen", sagen Steuerfahnder. "Sehr viele Wirtschaftskriminelle haben diese Hybris, sie würden nicht entdeckt."
Jetzt sorgen sich Ermittler, die Steuersünder könnten mit geringen Strafen davonkommen. Hintergrund ist ein Steuerstrafverfahren gegen den baden-württembergischen Unternehmer Reinhold Würth. Mit seiner 60.000 Mitarbeiter zählenden Würth-Gruppe könnte der als "Schraubenmilliardär" bekannt gewordene 73-Jährige über 60 Millionen Euro Steuern hinterzogen haben. Dennoch wurde Würth nur zu einer Geldstrafe von 700 Tagessätzen verurteilt. Selbst die genaue Höhe der Strafe ist nicht bekannt, die Rede ist von etwa 3,5 Millionen Euro.
Die Bochumer Staatsanwälte wollen deshalb möglichst viele Verfahren unter ihrer Kontrolle behalten - offiziell aus Gründen der Effizienz. "Die Beschuldigten müssen gleich behandelt werden", ist in den Justizgebäuden am Westring aber auch zu hören. Es dürfe kein "Nord-Süd-Gefälle" geben. "Möglichst viele Verfahren" sollten in Bochum geführt werden, sagt Staatsanwalt Güroff. "Die restlichen werden wir so bearbeiten, dass die Kollegen möglichst wenig Arbeit haben."
Die Ermittler wollen immer noch nicht die Untreue-Vorwürfe an den Manager Zumwinkel kommentieren.
Aus Kreisen der nordrhein-westfälischen Steuerfahndung dringen Gerüchte, Zumwinkel solle diverse Flugreisen seiner Frau als dienstlich deklariert haben. Auch Autofahrten, für die kein dienstlicher Anlass vorlag, habe er zu Lasten des Unternehmens abgerechnet. Zwar lässt der Ex-Post-Chef die Vorwürfe zurückweisen. "Wir ermitteln in vielen Fällen in alle Richtungen", sagt aber Staatsanwaltssprecher Güroff. Und fügt hinzu: "Ein Dementi ist das nicht."
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