■ Urdrüs wahre Kolumne: Erlösungsbedürftig
Die völlig marginalisierten Ocean-Park-Planer müssen vor Freude aus dem Häuschen gewesen sein, als jetzt aus Bremerhaven bekannt wurde, daß sich innerhalb von zwei Wochen über 10.000 Fishtown-Bewohner gegen ihren maritimen Freizeitpark aussprachen: Endlich geben sich massenhaft Menschen zu erkennen, die immer noch an die Zukunft dieser Luftnummer glauben! Vielleicht kann man damit ja einen risikofreudigen Volksbanken-Manager aus Dinkelsbühl, Bottrop oder Westerstede für kleine Geldspritzen zur Auf-rechterhaltung der Hoffnungen gewinnen, nachdem Käpt'n Blaubär und Käpt'n Iglo längst abgewunken haben!
Im Brilltunnel sprach mich dieser Tage ein ziemlich Verdammter dieser Erde auf ein Kleinstdarlehen an, und ich lud den Uralt-Hippie daraufhin zum gemeinsamen Frühstück in die hoch geschätzte Kaufhalle ein, wo man sich auch an Kundschaft mit spürbarem Restalkohol nicht weiter stört. Im Gespräch bekannte dieser Dirk, Veteran der Straßenbahnrevolten von anno dunnemals zu sein, und ließ sich grottenschlecht über all die Mitstreiter aus jener Zeit aus, die heute in Amt und Würden oder irgendwelchen ländlichen Herrensitzen herumlungern – kurz, wir stimmten darin überein, daß diese Welt in jeder Hinsicht erlösungsbedürftig ist. Ausgerechnet in dieser Grundstimmung kamen wir dann beim Infostand der Gegner der Rechtschreibreform an, wo uns eine völlig unsympathische Agitatorin ohne jede Erläuterung zur Unterschrift nötigen wollte. „Wenn Leute so aussehen wie die, so riechen wie die, so quatschen wie diese Pauker, dann würde ich doch mein eigenes Todesurteil unterschreiben“, erklärte mein neuer Freund Dirk in überlegener Souveränität. Solchen Standhaften gibt man gern! Und unterschrieben wird da nix!
Der Deutsche Hirschrufmeister 1998 wurde jetzt in Hannover ermittelt. Über die Brunftschreie des Siegers Wilhelm Caje aus Rheinland-Pfalz urteilte die Jury, er habe „Melancholie, Sehnsucht, Gereiztheit, Unwilligkeit und Wohlbehagen eines Hirsches am besten interpretiert“. Warum war Bremen nicht wenigstens durch ein paar junge Wilde von der CDU oder ein paar alte Zausel von der AFB vertreten? Man kann doch nicht die gesamte Bremen-PR den Profis überlassen! Mehr Bürgersinn!!
Auf der Bremer Tattoo-Messe im Pier 2 kam es durch Aussagen eines Hautstechers namens Tino heraus: Tätowierer üben ihr peinlich-peinsames Kunstgewerbe an Schweineohren. Kann es sein, daß sich der universitäre Affenquäler Kreiter nach Feierabend sein Zubrot als Spezialist für Heavy-Piercing verdient? Man prüfe, ob eine Genehmigung zum Nebenerwerb vorliegt!
Dem Knecht Ruprecht zur Züchtigung anheimstellen wollen wir an dieser Stelle den hannöverschen Landeskirchenamts-Präses Eckhart von Vietinghoff. Dieser auch für pastorale „Lebensführung“ zuständige Großinquisitor erklärt zur Anstellung schwuler Pastoren und Mitarbeiter, man dürfe nicht relativieren, daß homosexuelles Verhalten in der Bibel ausnahmslos negativ bewertet werde. Als kleiner barfüßiger Prophet halte ich dagegen, wie sehr es dem eselreitenden Erlöser (der ja immerhin mit einem Dutzend netter Jungs durch die Gegend zog), wie sehr es also unserem Meister Jesus mißfällt, daß Landeskirchenräte Erster Klasse durch die Gegend zuckeln, fünfmal so viel verdienen wie Putzfrauen (denen sie dann auch noch kündigen!) und Daimler, BMW oder andere Kindstötungs-Geschosse als Dienstwagen nutzen: Richte nicht, Bursche, auf daß Du nicht gerichtet wirst, denn nach den Maßstäben des Herrn sind wir mit und ohne gleichgeschlechtliche Arschfick-Präferenz Sünder allzumal!
Also wenn nächste Woche bei der Zeugenvernehmung von Innensenator Borttscheller vorm Verwaltungsgericht in Stade tatsächlich festgestellt wird, daß er als IM Ralfmann für den türkischen Geheimdienst gearbeitet hat, dann wäre solche Offenbarung für einen anständigen Hanseaten natürlich leicht dazu angetan, sich etwas anzutun. NEIN, das darf nicht sein, halten wir dagegen. Man kann doch über alles reden: Als Zeichen tätiger Reue in einer kurdischen Folkloregruppe beim Newroz-Fest mittanzen, das wär' doch schon mal ein Anfang ...
Der Kurde Nikolaus beschert nur in geputzte Stiefel, mahnt kurz vorm 6. Dezember
Ulrich „Apo“ Reineking
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