: Eriwan antwortet: Generalstreik!
■ Nach einer Massendemonstration am Mittwoch abend wurde gestern in Eriwan wieder gestreikt / Antwort auf den Moskauer Beschluß, der den Anschluß von Berg-Karabach verbietet / Unterschiedliche Meldungen über Militär-Präsenz / Drohungen gegen die Armenier
Moskau (dpa/afp) - Zum Wochenbeginn hatte die Moskauer Führung entschieden, Berg-Karabach müsse bei Aserbeidjan bleiben - jetzt kommt die Antwort aus Eriwan: Auf einer Kundgebung von 400.000 Menschen beschlossen die Teilnehmer am Mittwoch abend in der armenischen Hauptstadt den Generalstreik.
Über die Beteiligung an dem Ausstand kamen gestern unterschiedliche Informationen aus Eriwan. Die armenische Nachrichtenagentur Armenpress teilte am Donnerstag auf Anfrage mit, daß ein Teil der Betriebe nicht arbeite. Nach Angaben aus Bürgerrechtskreisen stehen sogar die meisten Unternehmen still. Einer der armenischen Aktivisten, Chowik Wasiljan, sagte hingegen der Nachrichtenagentur ap telefonisch aus Eriwan, der Streikaufruf habe am ersten Tag keine erkennbaren Auswirkungen gehabt, Fabriken wie öffentliche Verkehrsmittel seien in Betrieb. Andere Nationalisten sagten, zahlreiche Menschen seien an ihre Arbeitsplätze gefahren, um dort den Streik zu organisieren. Nach Angaben aus Bürgerrechtskreisen soll zunächst bis Montag nicht gearbeitet werden. Auf einer Kundgebung am gestrigen Donnerstag in Eriwan sollte über das weitere Vorgehen beraten werden.
Das sowjetische Außenministerium bestritt, daß erneut gestreikt werde. In Armenien herrsche ein „normaler Arbeitsrhythmus“, sagte der Sprecher des Ministeriums, Perfiljew. Nach übereinstimmenden Berichten auch der sowjetischen Zeitungen ist die Lage in Armenien und Berg -Karabach weiterhin angespannt. Zur Unterstützung der Polizei sind auch Soldaten aus anderen Teilen der Sowjetunion eingesetzt. Die Soldaten tragen teilweise kugelsichere Westen. Armenische Nationalisten sagten der Agentur afp gestern am Telefon, starke Truppenkontingente seien in den Straßen Eriwans aufgezogen.
In Berg-Karabach wird nach einem Bericht der Gewerkschaftszeitung 'Trud‘ vom Donnerstag ebenfalls weiter gestreikt. Am Mittwoch sei sogar die Lokalzeitung mit den Moskauer Beschlüssen nicht gedruckt worden. Fortsetzung auf Seite 2
Ferner habe man versucht, wichtige Unternehmen für die Lebensmittelversorgung zu bestreiken. Dies habe durch „Maßnahmen“ verhindert werden können, berichtete das Blatt, ohne Einzelheiten zu nennen.
Die amtliche Nachrichtenagentur TASS prangerte die inoffiziellen Sprecher der Armenier am Donnerstag öffentlich als „Provokateure“ und „Demagogen“ an, die die Republik ins wirschaftliche Chaos geführt hätten. Die armenischen Parteizeitungen erhoben schwere Beschuldigungen gegen namentlich genannte inoffizielle Sprecher. Der sowjetische Innenminister Alexander Wlassow kündigte an, daß man jetzt entschieden daran gehen werde, um die Ordnung wiederherzustellen. Das Problem Berg-Karabach, so TASS, sei nur ein Vorwand für gewisse Leute, um die Aktivitäten der „Schwarzmarktbosse“ und „Gruppen von Schmiergeldempfängern“ zu vertuschen. Gorbatschow hatte diese Ausdrücke Anfang der Woche ebenfalls benutzt und sich dafür ausgesprochen, bei den Unruhen entschieden durchzugreifen.
Der Chef der inoffiziellen Publikation „Glasnost“, Sergei Grigorjanz, erklärte am Donnerstag, daß nach seinen Informationen bisher noch keine Mitglieder des Komitees „Karabach“ festgenommen worden seien. Auf der Kundgebung in Eriwan am Mittwoch hatten die Versammelten mit lauten Protesten auf die Nachricht von der Ausweisung des armenischen Nationalisten Paruir Airikjan reagiert. Der 39jährige hatte vorgestern seine Staatsbürgerschaft verloren und soll offenbar in die USA abgeschoben werden.
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