Erinnerung an den 18. März 1848: Ein Aufruf zur Revolution

Am Wochenende jährt sich die Märzrevolution in Berlin zum 175. Mal. Künstler Jim Avignon hat zehn Ber­li­ne­r*innen gemalt, die eine Rolle spielten.

Jim Avignons Interpretation des Revolutionärs Saul Löwenberg Foto: Susanne Messmer

Die Frau wirkt in ihren Pumphosen und mit der verwegenen Zigarre wie eine Kreuzberger Kommunardin, nur dass sie statt der obligatorischen Rastas Korkenzieherlocken trägt. Die überlebensgroße Figur hinterm Deutschen Historischen Museum stellt die streitbare Schriftstellerin, Vordenkerin der Demokratie und der Frauenbewegung Louise Aston dar – eine Art Superstar der Revolution.

„Aston war so frei und so unbeeindruckt von Vorschriften, wie man das heute in dieser Zeit gar nicht für möglich hält“, weiß der Berliner Musiker, Partymacher, Pop-Art-Künstler und Vertreter der Art modeste Jim Avignon, der sie gemalt hat. Sie ist eine der interessantesten der zehn Ber­li­ne­r*in­nen der Märzrevolution 1848, die Avignon anlässlich des kommenden Berliner Wochenendes für die Demokratie, des 175. Jahrestags der Revolution, malen durfte.

Schon jetzt sind sie von der Friedrichstraße bis zum Schlossplatz an historischen Orten der Revolution zu erleben – darunter auch der 17-jährige Schlosserlehrling Ernst Zinna mit hoffnungsvollem Gesicht, er wurde an einer Barrikade in der Friedrichstraße erschossen. Oder auch der 24jährige Chemiestudent Saul Löwenberg in aufmüpfiger Siegerpose. Er war der Verfasser eines der ersten demokratischen Manifeste in Berlin. Sie alle kommen verblüffend munter und gegenwärtig daher.

Sonnig und gut gelaunt

Bei einem sonnigen Zickzack-Spaziergang von Figur zu Figur berichtet Jim Avignon in elegantem Hut und mit verschmitztem Gesicht, wie er zu diesem Projekt gekommen ist: Als Sohn einer Geschichtslehrerin und Autor eines Buchs über berühmte Exzentriker vom 17. Jahrhundert bis heute, das erst kürzlich erschien, fühlte er sich ganz gut gewappnet, sagt er.

Über den Spaziergang von Figur zu Figur von Jim Avignon hinaus gibt es am Berliner Wochenende für die Demokratie viel zu entdecken. In der Friedrichstraße Ecke Jägerstraße wurde beispielsweise eine Barrikade rekonstruiert. www.1848.berlin

Im Volkspark Friedrichshain, auf dem Friedhof der Märzgefallenen, gibt es eine neue Dauerausstellung. Und am Maxim Gorki Theater lesen Lea Draeger, Marina Frenk, Mely Kiyak & Sasha Marianna Salzmann aus Texten von Louise Aston, Mathilde Franziska Anneke und Louise Otto-Peters. (sm)

„Es hat mich immer rasend interessiert, wenn in der Geschichte Platz für neue Ideen entstanden ist.“ Und dann, etwas später: „Die Revolution in Berlin war vielleicht auch im europäischen Vergleich eher ein Revolutiönchen, das erst mal nicht erfolgreich war. Aber sie hat den Weg aufgezeigt“.

Warum die Revolution 1848 heute so sehr in Vergessenheit geraten ist, das hat Avignon so wenig verstanden wie die meisten His­to­ri­ke­r*in­nen. Nach wie vor kommt sie in der Schule eher zu kurz. Fünf von Avignons Figuren waren unter 24 Jahre alt, als die Forderungen der Demokraten nach einer Volksvertretung und gleichen Rechten für alle endlich auch in Berlin ankamen. Dort, im Herzen Preußens, der führenden Polizei- und Militärdespotie, wie der Autor Jörg Bong in seinem 2022 erschienenen, mitreißenden Buch „Die Flamme der Freiheit“ so schön beschreibt, klangen sie viel revolutionärer als anderswo.

Doch als sich der König im Berliner Stadtschloss erst stur weigert, die Forderungen auch nur anzunehmen, und am Abend des 15. März den Schlossplatz „säubern“ ließ und dabei Zivilistinnen ermordet, verletzt und verhaftet, machen sich die Ber­li­ne­r*in­nen auf. Am Nachmittag des 18. März ging es zum Schloss, und als die ersten Schüsse fallen, beginnen die Ber­li­ne­r*in­nen mit dem Bau von über 200 Barrikaden. Viele der mindestens 270 Opfer unter den Aufständischen waren junge Leute unter 25.

Heute wieder aktuell

Vieles, was Berlin in der Mitte des 19. Jahrhunderts ausmacht, ist auch heute wieder aktuell. Im Norden der Stadt hatten sich damals riesige Armenviertel gebildet. „Nie vorher war es in Preußen zu solcher Verwahrlosung des Gemeinwohles gekommen“, entsetzt sich in seinen Tagebüchern der Chronist der Revolution Karl August Varnhagen von Ense, der 14 Jahre jüngere Ehemann der 1833 verstorbenen Rahel Varnhagen.

Jim Avignon mit Louise Aston Foto: S. Messmer

Achtung, Link in die Gegenwart eins: Heute hat die Stadt mit rund 20 Prozent wieder die zweithöchste Armutsquote der Republik. Und Link zwei: Nach wie vor tun sich Teile der Berliner Politprominenz erstaunlich schwer mit demokratischen Prozessen, man denke nur an den fahrlässigen Umgang mit dem letzten und dem kommenden Volksentscheid.

Jim Avignon, dessen Karriere im chaotischen und überaus durchlässigen Nachwendeberlin der Neunziger begann, ist dafür berühmt, dass er sehr schnell sehr viele Bilder oft zu ziemlich niedrigen Preisen verkauft oder gar verschenkt. „Früher habe ich mal gesagt, dass Berlin die einzige Stadt ist, in der Statussymbole nichts zählen“, sagt er auf dem Rückweg zum Ausgangspunkt des Spaziergangs in der Friedrichstraße.

„Und auch, wenn ich mir da manchmal nicht mehr so ganz sicher bin, hoffe ich trotzdem, dass der raue Spirit hier, der einfach anders ist als anderswo, erhalten bleibt“, fügt er an. Klingt fast wie ein Aufruf zur Revolution.

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