: Erfurter Thüringenhalle wurde zum Hippietempel ohne Liebesspiele
Erfurt. Als Budapest noch Mekka der Jesuslatschen tragenden DDR- Jugend war, gehörte der Besuch des Kultfilmes Hair zum Pfichtprogramm. Kaum einer hätte je zu träumen gewagt, daß Spektakel live zu erleben. Aber die Zeiten haben sich geändert. In Erfurt spielte am Mittwoch die Broadway Musical Company New York das legendäre Musical in der Thüringenhalle. „Bei den Flippers war es voller“, kommentierte ein Kartenabreißer. Ein paar hundert Fans, die weder die zurückhaltende Werbung übersehen noch den tiefen Griff ins Portemonnaie gescheut hatten, gaben auf den über 2.000 Plätzen ein trostloses Bild ab. Vor der Story wiesen die amerikanischen Blumenkinder noch auf die Hausordnung hin: Rauchen verboten, Sex ist erlaubt.
Die Schauspieler sangen und tanzten nicht nur so gut, wie es der gelernte DDR-Bürger schon in einem halben Dutzend amerikanischer Musikfilme von der Wende sehen durfte, sondern sie gaben auch eine Menge Plattheiten von sich. Die Spielszenen der Hippies etwa als Indianer und Soldaten glitten unter die Gürtellinie und machten ihr Aufbegehren gegen moralische Vorurteile zu Herrenstammtischzoten. Da mochte die Truppe die Hair-Klassiker noch so gut rüberbringen, die Message vom Protest gegen Krieg und von der Forderung nach Liebe und Freiheit war irgendwie angeschlagen. Auch Give Peace a Chance als letzte drehbuchgemäße Zugabe half da nicht. Spontane Liebesbekundungen schienen im Szenarium nicht mehr vorgesehen zu sein. Jedenfalls wurde ein begeisterter Fan, der die Stars auf der Bühne umarmen wollte, dezent zurückverwiesen. Früher hätte man gesagt: „Guck, die Stasi läßt keinen ran!“ Matthias Opatz
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen