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Erfolgsautor Franzen über VögelEin seltener Vogel

Was macht Jonathan Franzen, wenn er grad' keinen Roman schreibt? Er beobachtet Vögel in Berlin. Warum, erklärt er bei einem Vortrag im Naturkundemuseum

Franzen ist einer der wenigen Autoren, der es auf das Cover des Time-Magazin geschafft hat Bild: dpa

Eigentlich unterscheiden sich Vogelfreunde und Literaturfreunde gar nicht. Zumindest nicht an einem Sonntagmorgen im Herbst. Wetterresistente Kleidung, festes Schuhwerk, interessante Kopfbedeckung, entschlossener Schritt: Hier wird Sehenswertem entgegengeeilt, nämlich einer "Matinee über Vögel". Ja, es kam tatsächlich jemand.

Hunderte sogar. Das lag wohl weniger an den Vögeln als mehr an der Literatur. Denn Jonathan Franzen war da, Schriftsteller (weltberühmt durch "Die Korrekturen") und Vogelfreund (weltweit hat er 1.500 Arten mit dem Fernglas aufgetan). Quasi weltexklusiv sollte er über seine Leidenschaft für das Vogelbeobachten reden. Die Idee dazu hatte Ursula Vogel, die Leiterin des Literaturforums im Brecht-Haus, der Franzen charmant antwortete: "Vögel muss man unterstützen" - ihr Nachname war denn auch der Running Gag der ersten Viertelstunde.

Neben Franzen im lässigen Sakko saß Andreas Meißner, der Leiter des Naturschutzzentrums Ökowerk Berlin. Er führte mit seinen Fragen quer durch Vogelfreuden und Literaturzitate. Vor sechs Jahren haben der Schriftsteller und der Naturschützer sich kennen gelernt - Franzens Lektorin suchte damals jemanden, der den Autor abseits seiner Lesereise an die besten Orte fürs Birdwatching führt. Seitdem sind sie oft unterwegs, wenn Franzen in Berlin weilt - im Grunewald, im Tiergarten, im Tegeler Fließ, in Buch und in den Karower Teichen. Franzen schickt zuvor eine Liste mit Vögeln, die er gerne sehen möchte.

In fließendem Deutsch mit charmantem Verwirrter-Professor-Akzent schwärmt der 51-Jährige, wie er in Jüterbog einen Wiedehopf gesehen hat, wie wunderschön das Gefieder war und wie prächtig die Haube. "Es ist eine Schönheit, die ich nirgendwo anders finde", sagt er. Ein Genuss, nach dem er manchmal ein fast physisches Verlangen verspüre. Es sei wie eine Religion - und man brauche jemanden, der einem das Licht zeigt. Bei Franzen war das der Schwager seiner Lebensgefährtin, der ihn eines Tages mit in den Central Park in New York nahm und ihm Fuchsdrosseln zeigte, Stockenten und Rotschwanzbussarde - seitdem kann Franzen selbst auf Deutsch Vogelnamen runterbeten, die die meisten noch nie gehört haben.

Aber beim Vogelbeobachten geht es nicht nur um Genuss, sondern auch darum, viele verschiedene Vögel zu sehen. 297 europäische Arten hat Franzen bislang entdeckt, verkündet er. Das ist oft eine Geduldsprobe, für die er es schon mal 14 Stunden an einem Fleck aushält. Belohnt wird er mit der Erfahrung, "sich selbst in der Natur neu widergespiegelt zu bekommen".

Es ist ein lustiges Hin und Her zwischen den Vogelfreunden. Meißner springt ein, wenn Franzens Deutsch ihn und sich erschöpft. Der Berliner schwärmt für Greifvögel, Franzen für "die kleinen braunen Opfervögel". Sein Liebling ist die Rohrdommel. "Ich sehe mich selbst in ihnen", sagt er und nennt sie "meine Nonkonformisten-Freunde". Sie passten in ihrer absoluten Armut so gar nirgendwo rein. Deshalb müsse man sie beschützen.

Das versucht Walter Berglund, der Protagonist in Franzens aktuellem Roman "Freiheit". Um den Pappelwaldsänger zu retten, muss er sich mit der korrupten Kohleindustrie einlassen. Er ist Anlass für Franzen und Meißner, darüber zu diskutieren, wie viel Spenden aus der Industrie vertretbar sind. Und überhaupt, wie weit darf man sich mit den Bösen einlassen? Franzen, der für einen Beitrag im New Yorker sechs Wochen lang italienischen Wilderern auf der Spur war, die Millionen Singvögel töten, glaubt: "Die meisten Naturfreunde sind Menschenfeinde. Das ist ihr Problem." Man müsse sich auch der Gegenseite nähern, auch hier genau beobachten. Darin sind Vogelfreunde und Literaturfreunde sicher gleich: Sie sehen mehr.

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