Erfahrungsbericht aus dem Servicesektor: "Sehr geehrter Herr ,"
Ob Telekom, Deutsche Bahn oder Bank: Kundenservice wird in Deutschland kleingeschrieben - wie man richtig mit Kundencentern kommuniziert. Ein Buch-Auszug.
In der E-Mail-Korrespondenz zwischen Kunde und Kundenservice fällt immer wieder eine eklatante Unwucht auf. Während die erfahrenen Kundenservice-Mitarbeiter ihre vielfach bewährten Textbausteine sampeln, schreibt der Kunde einfach auf, was ihm gerade so durch den Kopf geht.
Klar: So kann es nicht funktionieren! Für eine gelungene Kommunikation müssen beide Partner dieselbe Sprache sprechen. Daher sollten wir Kunden uns ebenfalls nur mit Hilfe von vorgefertigten Textbausteinen an das Servicepersonal wenden. Hier die wichtigsten Tipps.
Erster Textbaustein: "Sehr geehrter Herr ,". Achten Sie besonders darauf, dass Sie hinter "Herr" nicht aus Versehen noch einen Namen einfügen oder gar das Leerzeichen vor dem Komma löschen. Schließlich wollen Sie ja von Anfang an einen professionellen Eindruck machen. Daher ist es wichtig, dass der Kundencenteragent sofort erkennt: Dieser Kunde arbeitet wie ich mit Textbausteinen. Es handelt sich also um eine Kommunikation auf Augenhöhe.
Der nächste Baustein lautet: "Ich habe gehört, Sie haben ein Problem mit..." Dahinter kopieren Sie von der Webseite der Firma eine Werbebeschreibung des Produktes, das nicht funktioniert, oder auch – falls digital verfügbar – die Bedienungsanleitung. Es darf ruhig etwas länger sein.
Sehen Sie unbedingt davon ab, von "meinem" Problem zu sprechen. Auch sollten Sie keinesfalls Ihre Leidensgeschichte mit dem Produkt und/oder der Firma schildern. Das verwirrt die Kundenservice-Textarrangeure nur. So dass man Sie dann mit ziemlicher Sicherheit wieder und wieder auffordern wird, "Ihr Problem" zu schildern. Genau das sollten Sie verhindern: Es handelt sich nicht um "Ihr Problem", sondern um "deren Problem".
Sie haben vor Wut bereits eine mit Schimpfworten gespickte Problembeschreibung angefertigt? Kein Problem. Ersetzen Sie diesen Abschnitt einfach durch folgenden Textbaustein: "Gerne helfe ich Ihnen bei der Fehlersuche. Wir sind rund um die Uhr für Sie da." Wechseln Sie häufig zwischen "ich" und "wir" hin und her. Das vermittelt den Eindruck, dass hinter Ihnen eine große, unbekannte Macht steht.
Der Text stammt aus dem Taschenbuch "Drücken Sie bitte die Eins - Willkommen in der Servicehölle" von Susanne Berkenheger und Klaus Ungerer, das am 14. September 2011 bei Ullstein erscheint.
Geschickte Fristsetzung
Nun sollten sie einen scheinbar unsinnigen Baustein einfügen. Das können zum Beispiel die Garantiebestimmungen für Ihre Waschmaschine sein, falls Sie sich gerade bei Ihrem Telekommunikationsanbieter beschweren. Damit machen Sie dem Kundenbetreuer klar, dass Sie nicht ängstlich bangend den ganzen Tag vor dem Computer auf seine Antwort warten, sondern dass Sie – genau wie er – mehrere Kundenservicecenter gleichzeitig bedienen.
Jetzt sollten Sie Ihrer Beschwerde noch etwas Nachdruck verleihen – durch eine geschickte Fristsetzung. Der Termin darf dabei gerne in der Vergangenheit liegen, damit ihn der andere wirklich ernst nimmt. Der Baustein lautet: "Sollten Sie Ihr oben geschildertes Problem nicht bis zum 11.12.1978 behoben haben, sehen wir uns leider gezwungen, die Sache unseren Anwälten zu übergeben."
Wichtig: Niemals von nur einem Anwalt sprechen. Übergeben Sie "unserer Anwaltskanzlei" – oder noch besser "unserer Rechtsabteilung". Mit einem besonders weit in der Vergangenheit liegenden Datum machen Sie klar, dass Sie ein gewiefter alter Hase in der Beschwerdeführung mit Textbausteinen sind.
Fast geschafft
Nun haben Sie es schon fast geschafft. Ein paar knackige Abschiedsfloskeln fehlen noch. Etwa: "Ich hoffe, Ihr Problem damit zu Ihrer Zufriedenheit bearbeitet zu haben." Oder: "Bei allen weiteren Fragen kann ich Sie gerne jederzeit erreichen." Konstruktiv wirkt es, wenn sie jetzt noch einen kleinen Hinweis einfügen: "Mein persönlicher Tipp für Sie: Ich esse besonders gerne russischen Kaviar zu Champagner aus der Provence. Danach bin ich immer besonders friedliebend und habe keine Lust auf Fernsehjournalisten. Wenn Sie sich weiter über meine Vorlieben informieren wollen, empfehle ich Ihnen die Website...".
So. Nun grüßen Sie mit einem x-beliebigen Namen. Wichtig nur: Es sollte jedes Mal ein anderer sein. Und ab damit, mindestens zwanzig bis dreißig Mal versenden. Damit möglichst viele Service-Mitarbeiter sich Ihrer annehmen. Danach können Sie erst mal in Urlaub gehen.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen
meistkommentiert
Geschasste UN-Sonderberaterin
Sie weigerte sich, Israel „Genozid“ vorzuwerfen
Vertrauensfrage von Scholz
Der AfD ist nicht zu trauen
Prognose zu Zielen für Verkehrswende
2030 werden vier Millionen E-Autos fehlen
MLPD droht Nichtzulassung zur Wahl
Scheitert der „echte Sozialismus“ am Parteiengesetz?
Förderung von E-Mobilität
Habeck plant Hilfspaket mit 1.000 Euro Ladestromguthaben
Fußball-WM 2034
FIFA für Saudi-Arabien