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Erfahrung mit MitfahrgelegenheitenNahtoderfahrung inklusive

Schrottreife Transporter, verhaltensgestörte Fahrer, Gaspedal durchgedrückt: Mitfahrgelegenheiten werden immer mehr zur Abenteuerreise.

So fröhlich wie im Film „Not a Girl“ geht es unterwegs mit einer Mitfahrgelegenheit nicht immer zu. Bild: imago/United Archives

Ich gebe es ungern zu. Manchmal müssen ein paar Abstriche gemacht werden, wenn man nicht mit der teuren Bahn unterwegs sein will. Doch in letzter Zeit mehren sich die Szenen, in denen ich mich nach einem klimatisierten ICE sehne, während ich in einem voll gestopften, schrottreifen Bulli auf einer der zahllosen deutschen Autobahnen hin und her gekarrt werde.

Da wäre der Fahrer, der leider kein Deutsch spricht und auch der englischen Sprache nicht mächtig ist. Er versteht daher nicht, dass ich nicht besonders glücklich damit bin, dass die Blinker nicht blinken, was ja ihre Aufgabe wäre. Es wäre mir egal, wenn er einfach auf der rechten Spur bleiben würde.

Sein Hang, einfach mal von der rechten auf die linke von drei Spuren herüberzuziehen und anderen Fahrzeugen auf der Stoßstange zu hängen, über Standstreifen zu fahren und rechts zu überholen, löst aber allgemeines Unbehagen aus – und Hupkonzerte.

Mitfahrgelegenheiten

Sicher: Mit dem Buchungssystem des Marktführers mitfahrgelegenheit.de können Fahrer und Mitfahrende bewertet werden und Risiken so im Voraus besser abgeschätzt werden. Der Nachteil: Für jede Fahrt, die über die Plattform zustande kommt, sackt das Unternehmen satte 11 Prozent des veranschlagten Fahrpreises ein.

Günstig: Wer sich die zusätzlichen Kosten sparen will, kann seine Low-Budget-Reise über kostenfreie Portale wie bessermitfahren.de oder fahrgemeinschaft.de organisieren.

Geräumig: Mit Klimaanlage, WLAN und viel Stauraum für Gepäck bieten Fernbusunternehmen wie Flixbus und MeinFernbus eine gute Alternative zu den klassischen Mitfahrgelegenheiten. Die Preise sind vergleichbar, die Fahrzeit in der Regel ein bisschen länger.

Auf einem Rastplatz reicht er mir schließlich sein Handy. Am anderen Ende der Leitung sitzt ein Deutsch sprechender Landsmann, den er benutzt, um mit anderen zu kommunizieren. Das mit den Blinkern sei leider nicht zu ändern auf die Schnelle, erklärt der Mittelsmann. Und dass ihm das schrecklich leidtue.

Einer steigt aus

Die abenteuerlichen Manöver will sich der Fahrer aber trotzdem nicht abgewöhnen. Die Mitfahrer schließen daher vorsorglich mit ihrem Leben ab. Verbrüderungen auf der Rückbank. Stoßgebete. Die Nahtoderfahrung schweißt zusammen. Ein Insasse des Transporters hält es trotzdem nicht mehr aus und lässt sich rund hundert Kilometer vor der Ankunft in irgendeinem Dorf absetzen. Die restlichen Mitfahrer harren aus, schließlich will man ja irgendwie doch schnellstmöglich am Ziel ankommen.

Dann wäre da noch Manfred. Eine Stimme wie Matula, süchtig nach Kaffee, Energy-Drinks und Nikotin, der ein schmuckes Headset trägt. Sein Bulli ist bis auf den letzten Platz beladen. Über die Stimme im Ohr bekommt er Anweisungen, wo er Fahrgäste aufpicken soll. Wenn einer geht, steigt ein neuer ein. Auch die abgelegensten Autobahnausfahrten werden angefahren. Orte, deren Namen schon für ihre Abgeschiedenheit stehen: Alleringersleben, Wunstorf-Kohlenfeld, Herzebrock-Clarholz. Die Mitfahrer müssen die Zeit totschlagen, sich miteinander unterhalten, am Handy rumspielen oder schlafen.

Für Manfred liegt das Geld auf der Straße. Warum sollte er es leichtfertig verschwenden? Der Zeitverlust durch die Umwege wird durch ein durchgetretenes Gaspedal wieder reingeholt. Schließlich will auch Manfred irgendwann mal Feierabend haben. Nach der Fahrt von Berlin nach Köln fährt er wieder zurück in die Hauptstadt. Noch am selben Tag.

Gefährlich und steuerfrei

5 Euro zahlt man bei den Mitfahrportalen in der Regel für 100 Kilometer. Eine Fahrt von Ost nach West, von Berlin nach Köln, kostet somit rund 30 Euro. Für die Mitfahrer ist das ein Schnäppchen, wenn man es mit den Preisen der Bahn vergleicht. Voll ausgelastet verdient der Mann am Lenkrad auf einer 600 Kilometer langen Strecke abzüglich der Spritkosten rund 120 Euro pro Fahrt, wie mir einer von ihnen verrät. Im einem Monat kommen so bis zu 1.500 Euro zusammen. Wenn Strecken Tag für Tag auch wieder zurückgefahren werden, kann es schon einmal das Doppelte sein. Steuerfrei.

Da inzwischen viele mitbekommen haben, dass so ein eigenes kleines namenloses Busunternehmen schnell gegründet und ein einträgliches Geschäft ist, mehren sich zwielichtige Gesellen auf dem Markt der Mitfahrgelegenheiten. Gern spielen sie den misstrauisch gewordenen Mitfahrerwilligen vor, dass sie an einer spontanen Fahrt teilnehmen werden, in einem normalen Pkw. Bei Ankunft stellt sich dann heraus, dass der Kombi über Nacht zu einem klapprigen Transporter mutiert ist und der Fahrer schon den halben Tag unterwegs war.

So verkommt das Prinzip der Mitfahrgelegenheit - ich beteilige mich an deinen Spritkosten, und wir haben eine nette Zeit - langsam, aber sicher zur Farce. Und zu einem risiko- und stressreichen Abenteuer on the Road.

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Themen #Risiko

20 Kommentare

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  • B
    Bifi

    Oh ja, kann ich alles so bestätigen! Es geht ja auch nicht um die genannten Fahrer, das sind ja eher arme Schweine als schwarze Schafe - sondern darum, dass das nette Prinzip des Mitfahrens verloren geht.

    • @Bifi:

      Ich finde sehr interessant, was hier geschildert wird. Natürlich betriffft es höchstens 5% der Fahrer. Einmal hatte ich einen Fahrer, der so müde war, das er fast einpennt ist. Hatte eigentlich schon jemand mal einen Unfall?

  • Ich kann als langjähriger Nutzer von Mitfahrzentralen den Tenor des Artikels nich nachvollziehen, der eindeutig gegen die Fahrer_innen gerichtet ist, die diesen Job nicht aus Spass sondern wegen ihrer prekären Lebenssituation machen. Übrigens arbeiten auch die Fahrer_innen, der vom Autor am Schluss als Alternative gepriesenen Fernbusse auf Billiglohn-Niveau.

     

    Ich verstehe den Artikel als direkte Werbung für die Fernbusse, (ist es vielleicht Lobbying?) und als mir unverständliche Diskretitierung von Mitfahrzentralen.

     

    Auch und gerade die beruflichen Fahrer_innen achten besonders auf die Verkehrsregeln und werden nicht rechts überholen oder die Geschwindigkeitsbegrenzungen ignorieren, weil sie ja nicht auffallen wollen.

  • C
    Cabrón

    Ist dies etwa ein Symptom der deutschen "Geiz ist geil"-Mentalität?

     

     

     

    Für 5€ / 100km mitfahren und dann auch noch rumnörgeln??

  • S
    Snoopy

    Ist der Artikel nicht rassistisch? Darauf hinzuweisen, dass der Fahrer weder deutsch noch englisch spricht?

     

    - Das war ein Joke, denn in der taz liest man nicht oft Artikel, in denen fehlende Sprachkenntnisse angeprangert werden.

  • M
    Michel

    In 10 Jahren habe ich auf meiner "Stammstrecke" noch keine solche Erfahrung gemacht. Ein Mitfahrer, der unangenehm roch - und ein Fahrer mit Testosteronüberschuss. Das bei einer dreistelligen Zahl von Begleitern.

     

     

     

    Aber mal ehrlich: Von den anständigen Fahrern gibt sich seit mindestens 5 Jahren auch keiner mehr mit 5€/100km ab. Fahrer, die bereits vor der Fahrt in der Lage sind, mal ihr Kennzeichen in die Anzeige oder ein Foto von sich ins Profil zu setzen, bereiten solche ungeahnten Probleme nicht. Wem 7€/100km für eine ordentliche Abwicklung zu viel sind, der kann sich auf der anderen Seite auch kaum beschweren, wenn die Fahrer das Geld durch 30 Zwischenstopps in abgelegenen Dörfern wieder reinholen.

  • Ich bin sicher über 20 Jahre lang getrampt und habe so etwas nie erlebt, auch nicht über die Mitfahrzentralen. Einige Angeber gibt es. Ansonsten sind es normale Leute. Macht doch bitte niemandem Angst. Land, Leute und Freiheit kennenlernen ist wichtiger. Jeder kann doch bewerten und seinen Verstand benutzen.

  • G
    GüeyGüeyGüey

    Im Prinzip hat es das Portal mitfahrgelegeheiten.de ganz gut gemacht. Fahrer Bewertung, Angabe der Nummernschilder und vor allem: Vorrauszahlung des Betrages via Lastschrift. Mittlerweile zahlt man auch dafür Gebühren. Mich, als Fahrer, hatte es immer genervt, dass ich keine Zuverlässigen Mitfahrer hatte, die entweder kurzfristig absagen, verschlafen o.ä..

     

     

     

    Für Sicherheit und Qualität muss auch den entsprechenden Preis zahlen. Und wenn es gefährlich wird und nach nach Aufforderung den Fahrstil zu mässigen kann man auch die Polizei kontaktieren. Fertig!

  • V
    Verwunderung

    Dass das Modell der MFG geändert werden muss steht außer Frage und wird durch die meisten Kommentare hier verdeutlicht. Und dennoch ist der Artikel dermaßen emotional überzogen, dass er eine Wirklichkeit nicht wider gibt! Müssen über-dramatische private Erlebnisse in einer Zeitung geteilt werden, damit ein Aufschrei kommt? Ist die objektive Wirklichkeit nicht schon spannend genug?

  • L
    Ülli

    Das war auch schon vor 30 Jahren so, selbst erlebt...heilfroh, angekommen zu sein, wider des Gefühls, man wird "anständig" von A nach B mitgenommen, was mitgenommen war, war das Nervenkostüm....mitgehangen - mitgefangen :)

  • J
    john

    Ich nutze bereits seit vier Jahren sehr häufig verschiedene Mitfahrportale - mir ist derartiges noch nie passiert. Es mag diese Tendenzen geben, in diesem Artikel werden sie aber, zumindest aus meiner Perspektive, sehr dramatisiert.

  • W
    Wurstsuppe

    Och, aber günstig angekommen ist der Autor allemal, was m.E. vielmehr die Nutzungsintension von MFG-Nutzer_innen darstellt, als der gepflegte Smalltalk. Abgesehen davon ist die MFG "Urform" noch lange nicht vom Tisch, die Beschreibungen im Artikel würde ich (aus eigenen Erfahrungen - vll hab ich ja nur das falsche Ziel) als stark überzogen betrachten.

  • GB
    Gast beliebig

    Qualitätsjournalismus: anstatt passiv, reißerisch und sozialpornographisch nicht nur den Mißstand zu zeigen nach möglichen Lösungen recherchieren. ansonsten hat das nur Bild-Niveau...

  • M
    Mitfahrer

    Dem kann ich nur zustimmen. Es finden sich zwar immer noch nette, private FahrerInnen. Aber die Wahrscheinlichkeit, auf einen quasiprofessionellen Unternehmer zu stossen, dem es egal ist, wie sicher seine Mitfahrer fahren und ggf. überhaupt ob (Stichwort Überbuchungen). Am besten schaut man sich die Anzeige gut an und vergleicht - v.a. auf bestimmten Strecken wie etwa Köln-Berlin - die anderen Angebote. Wenn dann in fast wortgleicher Weise aber unter anderem Namen den ganzen Tag über Anzeigen geschaltet sind, sollte man besser die Finger davon lassen.

  • M
    MfG

    ... wenn die Leute auch mal Ihre Mitfahrgelegenheiten bewerten würden...

     

    dann könnte man die schwarzen Schafe auch besser erkennen :-)

    • @MfG:

      Das liegt dann aber eben auch an den Leuten. Da, wo bewertet wird, bringt es dann nämlich in der Tat etwas. Bei Blablacar gibt es sogar einen Bewertungsfaktor "Labern", für Leute, die gerne plaudern oder eben gerade nicht. Hab auf jeden Fall vor, das mal für die nächste Reise zu testen.

      http://www.blablacar.de/wie-es-funktioniert

  • K
    Katharina

    Sehr war, vor allem auf viel befahrenen Strecken (gerade Berlin - Ruhrgebiet / Köln). Der Fairness halber sollte man aber sagen, dass einem Fahrer natürlich mehr Kosten entstehen als Sprit und dass sie sicherlich auf keinen besonders guten Stundenlohn kommen... Meiner Vermutung nach steckt da auch noch jemand da hinter, der die Fahrer, die oft kein Deutsch können, anheuert und sich dann den Großteil des Geldes in die Tasche steckt.

     

    Ich bin sehr froh, dass es mittlerweile die Alternative gibt für ähnliche Preise mit dem Bus zu fahren, auch wenn das etwas länger dauert. Schade ists, ich hatte früher immer viel Spaß mit MFG...

  • G
    gesche

    diese beschreibung trifft leider inzwischen häufiger zu. aber selbst menschen auf privatfahrt drücken das tacho manchmal auf 180 hoch - ist ja auf deutschen autobahnen erlaubt.

     

    das erste telefonat gibt meist schon einen guten ersten eindruck, mit wem man es zu tun hat. tempo kann man auch vorher abklären, je nachdem auch in form von einer fangfrage "ich hab's eilig, wie schnell fährst du?"

     

    allerdings ist mitnichten immer "der mann am steuer", wie der autor hier einfach mal voraussetzt. selbst wenn sie unter den gewerblichen eher vertreten sind, sollte das reflektiert werden und nicht als selbstverständlichkeit - wir sind ja in den 70ern, am steuer sitzt ein mann - vorausgesetzt werden.

  • S
    speedy

    auch schon gehabt: billiger, selbstgebrauter Benzin- oder Diesel-Fusel aus Polen (?) , der zum abwinken stinkt und schwarz rust. bin auch mitfahr-fan, aber das modell braucht Erneuerung.

    • @speedy:

      Ich stimme mit Thomas J. überein. Ich habe früher die Mitfahrbörsen viel genutzt, da ich oft von München zu meinen Eltern nach Frankreich fahre. Allerdings habe ich da oft auch schreckliche Erlebnisse mit den Fahrern gehabt. Wir müssen ja nicht direkt die besten Freunde werden, aber sie sollten schon korrekt fahren, so dass man den Eindruck hat, man kommt sicher an. Das war leider nicht immer der Fall. Daher wäre eine Einschätzung zum Fahrverhalten schon hilfreich. Die Möglichkeit wie bei blablacar oder auch über allgemeine Fahrerbewertungen wie http://www.fahrerbewertung.de sind da schon interessant. Ich allerdings habe inzwischen nette Leute kennengelernt, die oft dieselbe Strecke Richtung Frankreich fahren und dann fahre ich halt mit diesen mir bekannten Fahrern. So bin ich auf der sicheren Seite.