Erfahrung Jürgen Goldstein wirft einen neuen Blick auf den Entdecker und Revolutionär Georg Forster: Das Paradies der Natur und Menschlichkeit
Ich kehrte einen Abschieds-Blick gegen Englands fruchtbare Hügel zurück, und lies dem natürlichen Gefühl der Verbindungen, woran mich diese Aussicht erinnerte, freyen Lauf“, Johann Georg Adam Forster, dem Begründer der deutschen Reiseliteratur, kommen die Tränen: 17 Jahre alt, ein vom Vater in die Welt mitgeschleppter Pfarrerssohn aus Nassenhuben bei Danzig, soll er dem Vater als Zeichner auf der zweiten Weltumsegelung von James Cook zuarbeiten. Ein Jahr später betritt Cook Tahiti, für Forster das Paradies der Natur und Menschlichkeit.
„Drey Jahre und achtzehn Tage“, von 1772 bis 1775, ist Forster unterwegs und dabei ein präziser Beobachter überwältigender Natureindrücke von Packeis im Südpolarmeer, tropischer Inseln, gewaltiger Stürmen und vielerlei Langeweile an Bord. Sein Bericht „A Voyage Round the World“ erscheint 1777, macht ihn berühmt, aber weder reich noch glücklich. Die Reise setzte seiner Gesundheit zu, er bleibt rastlos, trifft Goethe und machte kräftig Eindruck auf den jungen Alexander von Humboldt, der ihn als „Lehrer und Freund“ verstand. 1785 diskutiert er polemisch gegen Immanuel Kant und dessen Verständnis von Menschenrechten, wird 1788 erst Oberbibliothekar der Universität in Mainz, dann Mitbegründer der revolutionären Mainzer Republik.
Schließlich stirbt er, vom Lauf der Geschichte nach Paris verschlagen, vereinsamt und von der Revolution enttäuscht: ein in allen Belangen erstaunliches Leben, das Jürgen Goldstein ideengeschichtlich trennscharf und kontextgenau neu betrachtet. Und dessen Wendungen und Widersprüche Goldstein mit einem nachdenklichen Ton überblickt.
Goldstein folgt Biografen wie Ludwig Uhlig, der gegen populäre Darstellungen von Klaus Harpprecht, Ulrich Enzensberger oder Alois Prinz nicht von einer harmonischen Lebenslinie vom Weltumsegler zum Revolutionär ausgeht. Vielmehr wirft er einen werkgeschichtlichen Blick auf Forster: Er liest ausführlich den Anthropologen, Biologen, Philosophen und Essayisten durch dessen Reiseberichte, Briefe und Traktate.
Und blickt durch sie auf den Kontext, in dem und gegen den Forsters Arbeiten entstehen: Goldstein findet Mühsal und Pein, mit denen sich der kaum systematisch gebildete Mann seine Schriften abringt. Und Goldstein entdeckt in Forster, gerade weil er gegen das Selbstverständnis der aufgeklärten politischen Moderne steht, einen Denker, der am Ende feststellen muss, dass die Revolution nicht zu begreifen ist.
Den Revolutionär Forster, der in der deutschen Rezeption den Reiseschriftsteller lange disqualifizierte, und den später die DDR-Ideologie kolossal missverstand, charakterisiert Goldstein gerade gegen gängige Bilder der Moderne: „In seiner Sperrigkeit gegenüber dem gängigen Fortschrittsoptimismus der Aufklärung liegt der besondere Reiz von Forsters Denken und Handeln. […] Anschauung und Erfahrung gibt er den Vorrang vor aller Vernunft, Handeln steht vor aller Theorie.“
Lennart Laberenz
Jürgen Goldstein:„Georg Forster. Zwischen Freiheit und Naturgewalt“. Matthes & Seitz, Berlin 2015, 301 S., 24,90 Euro
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