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Archiv-Artikel

JENNI ZYLKA über PEST UND CHOLERA Erbrochenes als Erstgesprächsthema

Anmachsprüche und Primatenforschung sind eine ebenso faszinierende wie ekelige Sache. Eine Abschweifung

„Sag mal, hab ich mich angekotzt?“, ist bei weitem die bemerkenswerteste Anmache, die man erleben kann, glaube ich. Ist jedoch nicht mir passiert, sondern dem besten Freund, als er neulich Nacht eine belebte Ausgehstraße entlangschlenderte. Der Mann, der ihm diese Frage stellte, sah, so sagte der beste Freund, „gar nicht mal so verkehrt aus“, und so weit der beste Freund erkennen konnte, schien er sogar glücklich daneben getroffen zu haben. Trotzdem war dem besten Freund ein wenig die Flirtlaune vergangen, und das kann ich gut verstehen. Es gibt auf jeden Fall angenehmere Sujets für ein erstes Gespräch.

Wo wir gerade bei ekeligen Themen sind, möchte ich kurz abschweifen, bevor ich später noch etwas zum Erstes-Gespräch-Führen sage. Ich lese nämlich gerade ein ekeliges Buch, es ist von Dian Fossey und heißt „Gorillas im Nebel“. Jeder kennt es, weil es mit Sigourney Weaver in der Hauptrolle verfilmt worden ist, und man muss normalerweise unwillkürlich an die zentrale Szene denken, in der der „Silberrücken“ Sigourneys Hand das erste Mal mit seiner haarigen Pranke berührt und sie so in die Gorilla-WG aufnimmt.

Nun ist Primatenforschung an sich eine so faszinierende wie ekelige Sache. Die Affen selbst sind natürlich nicht ekelig, sondern eben Affen, dagegen ist überhaupt nichts einzuwenden. Aber was einE ForscherIn machen muss, um sie richtig kennen zu lernen, das ist wirklich erstaunlich. Dian Fossey, die ohnehin eine ganz und gar erstaunliche Person war (außer den Affen liebte sie angeblich noch Alkohol, nichtafrikanische verheiratete Männer und Pistolen, hasste aber fast sämtliche afrikanischen Mitarbeiter), beschreibt in ihrem Buch natürlich nicht ihre vielen persönlichen Probleme, sondern den Gorillaalltag, den sie anhand umfassender Stuhlganguntersuchungen, Zählungen darin enthaltener Bandwürmer und stundenlangem In-Brennnesselsträuchern-Sitzen-und-von-Mücken-zerstochen- Werden akribisch erforschte.

Selten habe ich eine 34-jährige Frau so ungewöhnliche Tätigkeiten ausüben sehen, außer vielleicht jene Bekannte eines Bekannten, die als Biologin mit dem Sammeln von Meerschweinchenejakulat beschäftigt war, aber das ist eindeutig eine andere ekelige Geschichte.

Dian Fossey jedenfalls gehörte, bevor sie Ende 1985 einem spektakulären Mord zum Opfer fiel, eine Zeitlang zu „Leakey’s Angels“: Zusammen mit der Schimpansenforscherin Jane Goddall und der Orang-Utan-Forscherin Birute Galdikas bildete sie eine Art Primatentaskforce, die mit dem Geld des Wissenschaftlers Dr. Louis Leakey alles über Affen herausfinden sollte, was man sich nur vorstellen kann.

Je länger ich das ekelige, aber überaus faszinierende Affenintima-Buch lese, desto stärker wächst der Wille in mir, sofort in den Zoo zu rennen und die Primaten frei zu lassen. Eine naive Idee, ich weiß, als ob das auch nur irgendeinen Gorillalieblingsbaum retten könnte. Abgesehen davon geht es zumindest den ruandischen Berggorillas, deren Verhalten Frau Fossey mit einem bemerkenswerten Desinteresse an der politischen Entwicklung des Landes erforschte (es sei denn, die Umstände schlugen sich auf ihre wissenschaftlichen Vorhaben nieder), momentan anscheinend besser als je zuvor: weniger Wilderer und eine Menge dieser leckeren Pygeum-Africanum-Pflanzen.

Doch genug abgeschweift. Wer mag, der soll in den Tierpark gehen oder Fosseys Gorillabuch selbst lesen (man kriegt es normalerweise für höchstens 50 Cent in Wohnungsauflösungs-Trödelläden). Zurück zu der ekeligen Anmache von neulich Nacht und anderen Erstgesprächsthemen. Vor Jahren erzählte mir mal ein Halb-Engländer, seine Freundin habe sich aufgrund seiner Aussprache des Wortes „Wimbledon“ in ihn verliebt. Seine Idee, als erstes Gesprächsthema Boris Becker zu wählen, war also im Nachhinein ganz pfiffig, wenn auch fast so ekelig wie das oben erwähnte des Fremden mit dem Magenproblem. Man weiß eben nie, was ankommt in der Damen- und Herrenwelt.

Fotohinweis: JENNI ZYLKA PEST UND CHOLERA Fragen zu Affen? kolumne@taz.de Morgen: Barbara Bollwahn ROTKÄPPCHEN