piwik no script img

Er mag das Gestöhne nicht

■ Große Koalition? Ziviles Hilfskorps? Ein einziges Kanzlerinterview liefert Debattenstoff für eine ganze Woche

Bonn (taz) – Das Dorf heißt Bonn, das Spiel nennt sich Sautreiben im Sommerloch. Und die jüngste Sau heißt gerade große Koalition. Kanzler Helmut Kohl schließt eine Elefantenhochzeit von Union und SPD nach dem 16. Oktober nicht aus. Da rotieren die Mitarbeiter der Parteipressestellen aber heftig.

SPD-Geschäftsführer Günter Verheugen greift die Chance beim Schopf: Helmut Kohl habe endlich zugegeben, daß er für sich und seine Koalition keine Mehrheit mehr sehe. FDP-Generalsekretär Werner Hoyer wiederum prügelt den Regierungspartner für dessen überflüssige „Was-wäre-wenn- Spekulationen“. Parteifreund Otto Graf Lambsdorff murrt laut, der Kanzler sei im Urlaub wohl „hasenfüßig geworden“.

Davor war es das zivile Hilfskorps. Er denke über eine solche Organisation nach, hat der Kanzler gesagt. Das ist schon eine Schlagzeile und eine neue Debatte wert. Dabei ist die Idee völlig unausgegoren und wurde vor dem Interview offensichtlich weder mit Fachministern noch mit dem Kanzleramt abgesprochen.

Kohl war nämlich gar nicht in Bonn, als er dem Mitteldeutschen Rundfunk ein paar Sätze zur Ruanda-Hilfe sagte und dabei aufs Hilfskorps kam. Aufgezeichnet wurde das Interview bei brütender Hitze in St. Gilgen am berühmten Wolfgangsee, gesendet wurde es in der ARD am Montag abend. Das engzeilig bedruckte Transkript des Gesprächs umfaßt elf Seiten. Die Interviewer hatten gar nicht nachgefragt, als der Kanzler vom Hilfskorps anfing.

Der zweite Streitgrund stammt ebenfalls aus dem MDR-Interview: Kohls Feststellung, alle demokratischen Parteien seien koalitionsfähig. Sie ist ungefähr so spannend wie die Aussage, der Fußball sei rund. Aber findige Nachrichtenredakteure haben daraus Meldungen gemacht.

Journalisten, die im Bonner Sommerloch jedes noch so nebensächliche Thema zur politischen Grundsatzdebatte aufpeppen, haben denn auch Politiker gefunden, die Kohl heftigst widersprachen. So liefert ein Kanzlerinterview vom Montag eine ganze Woche lang Stoff für Nachrichten und Scheindebatten.

Man sollte das Gespräch noch einmal ganz genau lesen. Es enthält politischen Sprengstoff:

„Frage: Herr Bundeskanzler, auch hier sind über 30 Grad. Wie kommen Sie eigentlich mit der Hitze zurecht? Beeinflußt das Ihre Urlaubsplanung?

Kohl: Nein, also wenn man lang genug ins Salzkammergut in Urlaub geht, ist man ja für Sonne auch dankbar. Ich habe hier schon Urlaubszeiten erlebt, die waren vier Wochen verregnet. Jetzt haben wir, so Gott will, überwiegend Sonnenschein. Und ich muß Ihnen sagen, mir macht das gar nichts aus. Ich mag dieses Gestöhne eigentlich nicht nachvollziehen.

Ich bin dankbar für jeden Tag, wo ich ausspannen kann oder ziemlich ausspannen kann, und man kann sich ja einrichten, hier schon gar. Wenn es kühler ist, kann man an den Berg gehen, wandern. Und wenn es halt warm ist, geht es ins Wasser. Im übrigen kann man lesen, kann sich mal kräftig ausschlafen, mal gar nichts tun, einfach vor sich hin bummeln, ein bißchen dösen. Das ist Urlaub.“

Das ist für den CDU-Vorsitzenden und deutschen Bundeskanzler Urlaub? Herr Verheugen, Herr Hoyer, widersprechen Sie! Hans Monath

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen